Dass LUKE GRENFELL-SHAW an diesem Abend in Marseille so herzlich lacht ist ein Wunder und doch auch keines. Der Brite hat eine Lebensgeschichte, die er mit in jeden Tag und Lauf nimmt.

Luke Grenfell-Shaw läuft in diesem Sommer für das britische Nationalteam bei der Europameisterschaft in Annecy mit. Selbstverständlich ist das für den ihn Bristol geborenen 30-Jährigen nicht, denn der Weg dorthin war lange und nicht einfach. Er führte über eine Triathlon-Karriere in ein Krankenhaus, auf ein Tandem und bis an die Chinesische Grenze. Eine Geschichte von einem, der immer in Bewegung ist und Hoffnung gibt.

 

2023 August

Das hatte Luke vermutlich selbst überrascht. In Salzburg, beim Mozart100, einem Rennen der großen globalen Rennserie des UTMB, siegte er mit über einer Stunde Vorsprung. Er genoss seinen Erfolg und das Frühstück am Tag nach dem Wettkampf in einem Youth-Hostel. Für ihn eine simple Übernachtung, so wie Luke das seit dem frühen Erwachsenen-Alter mag, wie beispielsweise auf seinen Studienreisen in Russland, Kirgistan und anderen Länder der ehemaligen Sowjetrepublik. Keine üblichen Reiseziele, aber, wie Luke es beschriebt: „Länder, die alles haben, was er mag – Berge, wilde Natur und Städte, die so riesig sind, dass man Stunden benötigt, um vom einen zum anderen Ende zu gelangen. Nun saß er also bei diesem Frühstück und kam in ein Gespräch mit einer Frau, die ihn als Teilnehmer des Rennens erkannte und nach seinem Abschneiden erkundigte. Luke antwortete bescheiden und doch entschieden, dass er gewonnen hätte. Die Frau war erstaunt, dass er als Sieger eines solchen Rennens in einem Hostel untergebracht ist. Dieses Treffen und dieses Gespräch war der Beginn einer Partnerschaft. Nein, keine Beziehung und auch keine Romanze, aber eine Bindung mit Unterschrift und Vertrag. Die Marketing-Managerin von Brooks war wohl schlicht begeistert vom jungen Briten, von seiner Art, seinem Erfolg und er wurde damit ein Teil des internationalen Teams der Marke.

 

2018

Als Luke im Mai 2018, während einem Aufenthalt im russischen Ural, unter großem Respekt der Einheimischen auf Platz 2 des Ural Ultratrail über 50 Kilometer lief, konnte der so sehr im vollen Leben steckende 24-Jährige nicht wissen, was dieses Jahr noch mit sich bringen würde.

Dieser erste Arztbesuch am 19. August 2018 war eine ernste Diagnose. Ein Tumor, groß wie eine kleine Ananas in der rechten Schulter. Ein Schock und doch war für Luke im ersten Augenblick klar, dass das eine Sache ist, die man operieren wird, die eine Zeit dauert und wieder in Ordnung kommt. Eine weitere Diagnose schickte ihn nur Tage später ohne jegliche Zukunft nach Hause. Der Krebs hätte Metastasen gebildet und in die Lunge gestreut. Die aggressivste Form, die es gibt. Er hätte sechs Monate zum Leben, ein halbes Jahr, um all das rückabzuwickeln, was diese 24 Jahre eingebracht hätten. Vielleicht hätte er ein Jahr. Mit einer Chemo und Medikamenten. Vielleicht. Wer weiß das schon. Er fuhr nach Hause, in das zu Hause bei seinen Eltern, legte sich auf sein Bett und weinte. Es war Wut und Ohnmacht zugleich und ein Gefühl wie betäubt. Sein Vater setzte sich zu ihm und sagte: „Luke, nimm Dein Rennrad und geh eine Runde fahren!“ Luke antwortete damals: „Das geht nicht. Ich bin todkrank, ich kann nicht Radfahren!“

Luke Grenfell durchschritt insgesamt sechs Chemotherapien in einem Jahr und folgte dabei immer einem Grundsatz – soweit er sich körperlich in der Lage fühlte, Sport zu machen, macht er Sport, ging laufen, radelte oder schwamm. Er ging dabei an Grenzen, die man kaum für möglich hält und radelte sogar auf dem Rollentrainer während der Therapie. Für ihn eine Therapie im doppelten Sinne. Luke steckte die Chemo gut weg und die Chemo schlug überraschend gut an. Eine Art Zwischenerfolg, ein echter Etappensieg war die Teilnahme an einem lokalen Halbmarathon, den er in 1 Stunden und 20 Minuten gewann. Er, der Krebspatient, er, der junge Mann, der inmitten einer so kräftezehrenden und intensiven Chemotherapie steckte. Bei aller Genesung und den Fortschritten, die sein Arzt so nicht für möglich gehalten hätte, musste Luke in dieser Lebensphase auch noch mit einem schweren Schicksalsschlag fertig werden. Sein Bruder John kam bei einem Unfall in den Bergen ums Leben.

2019 wurde für den Briten dann ein Jahr mit unbeschreiblich vielen Höhen und Tiefen. Er begann sein Master-Studium in Wasserwissenschaft, Politik und Management an der Universität in Oxford und schloss es zum Jahresende erfolgreich ab.

 

Mai 2024

Luke postet auf seinem Instagram Kanal ein Foto. Es ist zu sehen: Das Singlet-Jersey mit dem Nike-Logo und der Aufschrift GREAT BRITAIN. Darunter eine Startnummer. Es ist die 828 und Lukes´ Eintrittskarte zur Teilnahme an der Trailrunning-Europameisterschaft in Annecy/Frankreich. Einige Tage später ist das Rennen beendet und Grenfell-Shaw schreibt mir auf WhatsApp, dass er mit Platz 34 eigentlich nicht zufrieden wäre, es wäre einfach mehr drin gewesen. Er lief 58 Kilometer und fast 3.000 Höhenmeter in 5:42:37 in einem Feld der besten unseres Sports.

Am 1. Januar 2020 startete Luke dann in sein neues Leben. Nein, er knüpfte an etwas an. Er erinnerte sich an einen Traum und genau dieser erste Tag im neuen Jahr, nach all den Monaten der Krankheit, aber auch der Genesung, sollte etwas Großes beginnen. Er erinnert sich: „Lange vor Ausbruch der Krankheit wollte ich immer einmal mit dem Fahrrad um die Welt fahren. Einmal um den ganzen Globus. Und irgendwie war nie der richtige Moment dafür. Das Studium, die Schule, der Triathlon. Jetzt war mir klar – ich mache es. Es spricht alles dafür und nichts dagegen!“

Also radelte er los. In Bristol, auf einem Tandem, in Richtung Bejing in China. 30.000 Kilometer, viele Länder, viele Menschen und immer im Gepäck – seine Geschichte. Diese Story, was mit Krebs alles möglich ist. Er betont das übrigens immer wieder deutlich, dass er MIT Krebs lebt und eine Zukunft hat, dass er KEIN „cancer survivor“ ist.

“Der Krebs ist in mir. Ich lebe damit und das ziemlich gut. Ich erkenne den Wert meines Lebens und will es genießen.”

Sein Trip auf dem Tandem wird zum Abenteuer. Er legt riesige Distanzen zurück, meist alleine, oft mit Menschen, die spontan aufsteigen und die er bei Vorträgen am Abend kennenlernte. 30 Länder durchrollt er, überquert Berge und durchquert Wüsten und sammelt dabei mehr als 150.000 Euro an Spendengeld gegen den Krebs.

Während der Covid-Pandemie musste er seine Reise unterbrechen, startete nach einigen Monaten des Wartens zu Hause erneut und sah sich in Indien wieder. „Dort hatte ich tolle Begegnungen. Ein Junge, der ebenfalls Krebs hatte, begleitete mich spontan und saß für 1500 Kilometer mit auf dem Tandem. Er war überhaupt nicht sportlich und konnte eigentlich auch nicht Radfahren.“ Die Grenze zwischen Indien und China war im Frühjahr 2022 nicht zu überqueren. Lukes Radtrip endete also hier. Genau 3300 Kilometer fehlten ihm bis zu seinem Ziel Bejing. Zurück in England holte er sich diesen letzten Abschnitt zumindest virtuell, er legte die Distanz an verschiedenen Locations auf einem Indoor-Bike zurück, was auch der Start einer echten Promo-Tour war.

Nach seiner Rückkehr wird Grenfell-Shaw zu einem regelmäßigen Vortrags- und Keynote-Speaker. Er berichtet von seiner Reise, von der Krankheit, davon, was alles möglich ist. Er gibt anderen Mut und sich eine Zukunft. Doch er merkt: „Ich war irgendwann wie ausgebrannt. Es war zu viel geworden.“

Luke widmet sich in dieser Zeit wieder mehr dem Laufsport und entdeckt das Trailrunning für sich, eine Sache, die er im Prinzip schon immer gemacht hatte. „Ich nahm bereits vor der Krankheit, während meiner längeren Aufenthalte in Russland und Kasachstan, an Bergläufen und Trailruns teil.“

Mit dem Sieg beim Mozart 100 by UTMB 2023 beginnt für Luke Grenfell-Shaw eine Art Profi-Sportler-Leben. Ein Vertrag, Schuhe, soviel er möchte oder braucht, Reisen zu Wettkämpfen und jegliche Unterstützung, die man sich wünschen kann. Das bringt ihn im August 2023 schließlich zum CCC, den er, für viele überraschend auf Platz 8 beendet. Er, der Mann mit dieser Geschichte, mit den Tiefen und Narben, unter den besten der Welt.

Lukes Abenteuer gehen weiter. Zunächst in Trailschuhen und als Profi-Trailrunner. Er sagt, dass es immer nur um die Antworten geht. Wir müssen auf Dinge, die uns widerfahren, gute Antworten finden, wir müssen reagieren.

Im Sommer wird es eine aufwendig und sehr authentische Film-Dokumentation zu BRISTOL2BEJING geben. All das, was ich hier unmöglich beschreiben kann, wird man dort in Aufnahmen sehen können. Man wird Luke, einen der vielleicht erstaunlichsten und vielschichtigsten Profi-Trailrunner unserer Zeit besser verstehen.

von Denis Wischniewski

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17. September 2024
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