Alle reden von Nachhaltigkeit. Also alle, denen wir abkaufen sollen, dass sie das mit dem Trailrunning ernst nehmen. Und alle, denen wir etwas abkaufen sollen. Neue Trailschuhe zum Beispiel. Was ist wirklich dran am Willen zum Wandel? Eine Statusabfrage

Da wäre das Beispiel: Decathlon. Auch das französische Sportkaufhaus hat den Willen oder eben den Trend zur Nachhaltigkeit erkannt und 2017 das eigene Label „Eco-Design“ etabliert. Stand heute tragen rund 20 Prozent aller Artikel der Decathlon-Eigenmarken diese Kennung, schon in drei Jahren, sollen es annähernd hundert Prozent sein. Möglich gemacht durch recycelten Polyester, der zumeist aus alten PET-Flaschen recycelt und dann wieder zu einem Polyestergarn versponnen wird.
Nur: In einem eigens dafür entwickelten Prüfverfahren hatte der TÜV Süd vor eineinhalb Jahren in immerhin drei von zehn untersuchten „Eco-Design“-Produkten kein recyceltes Polyester gefunden. Ein Vorwurf, so Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe, der den Sport-Discounter nur über Bande trifft: „Ich möchte nicht behaupten, dass Decathlon hier wissentlich betrügt. Häufig wird aus Asien importiert und an dieser Stelle ist meistens unklar, wo das Material wirklich herkommt.“ Der Experte für Kreislaufwirtschaft vermutet, dass Neumaterial von den Zulieferern einfach als „recycelt“ deklariert werden könnte. Ja, dass teilweise sogar neue PET-Flaschen geschreddert werden würden. Es ist schlichtweg billiger, als gebrauchte zu recyceln.
Wir erinnern uns: Auch Adidas hatte sich vor einigen Jahren in seiner „Parley for the Oceans“-Kampagne diesen Vorwurf gefallen lassen müssen. So viel gesammeltes Plastik aus den Weltmeeren steckte gar nicht in den Laufschuhen oder Fußballtrikots. Für Thomas Fischer sind die großen, globalen Marken und die, auch auf dem Sportartikelmarkt wichtiger werdenden, Fast-Fashion-Konzerne besonders anfällig für solch ein Green-Washing. Nicht, weil sie es per se schlechter meinen mit der Welt. Sondern, weil Tempo und Größe und Preisdruck der Produktion sowie die oft komplexen Beziehungen zu ausgelagerten Textilfabriken einen tatsächlich nachhaltigen Umbau der Produktion verhindert würden. Und ebenso die dazu nötige Transparenz.
Zudem, so Viola Wohlgemuth, die sich für Greenpeace mit nachhaltigen und vor allem gar nicht nachhaltigen Textilien beschäftigt, seien die Designabläufe zumeist noch immer so: „Man entwickelt ein bestimmtes Design und dessen spezifische Funktionsmerkmale und schaut bestenfalls im Nachgang, ob man das vielleicht mit einem gewissen Anteil an recycelten oder weniger umweltschädlichen Materialien umsetzen kann. Ziel muss aber sein, Ressourcenschonung, also etwa die Reparierbarkeit eines Produkts, an den Beginn jedes Designprozesses zu stellen.“
„Ein zumindest im Verhältnis kleineres Unternehmen wie etwa Patagonia“, sagt diesbezüglich der Trendforscher Eike Wenzel aus Heidelberg, „hat es da einfacher, weil es sich erlauben kann, seine Produkte und sein ganzes Markenimage an eine gesonderte Zielgruppe zu adressieren: an solvente, liberal und ökologisch gesinnte Konsument:innen, die zunehmend auch die ökologischen und sozialen Aspekte in den Vordergrund ihrer Konsumentscheidung stellen und deshalb auch höhere Preise akzeptieren oder diese sogar voraussetzen.“ Das, so Wenzel, sei ein einerseits kritischeres, gleichzeitig aber sehr loyales Klientel. Auch da ist also etwas dran: Nachhaltig kauft, wer es sich leisten kann. Das aber sind dann oft jene, die sich ziemlich häufig etwas kaufen. Ist nachhaltiges Handeln am Ende vielleicht sogar umsatzförderndes Zukunftsmodell? Und damit, schlussendlich, auch wieder nicht nachhaltig?

Auf dem Boden geblieben
Aber in der Tat: Einerseits reden alle Marken von ihrer Verantwortung gegenüber dem Klima und der Ressourcen. Fast jeder Hersteller hat heute einen Code of Conduct, eine Selbstverpflichtung, auf seiner Homepage versteckt. Längst gibt es Laufschuhe aus überwiegen recycelten Materialien und, was wichtiger ist, auch solche, die sich wieder sortenrein recyceln lassen, der Salomon Index 03 etwa, oder der Cylon von On. Andererseits ruft eine Marke heute Bilder aus dem Social-Media-Auftritt einer Athletin zurück, weil darauf nicht die allerneuste Textilkollektion abgebildet ist. Andererseits will plötzlich die Marketingagentur einer großen Laufschuhmarke entscheiden, welches Modell in unserem Magazin erscheinen darf. Natürlich das neueste und teuerste Modell.
Diesbezüglich ist mir eine Pressemittelung aus den vergangenen Tagen besonders aufgefallen. Die familiengeführte schwedische Marke Icebug, sonst bekannt für eine sehr leise Kommunikation, hat explizit darauf hingewiesen, dass manch anderer Hersteller aufgrund der Komplikationen auf den Weltmeeren, viele Reedereien meiden gegenwärtig die Passage durch den Suezkanal, seine Lieferketten wieder in die Luft gehen lässt. Der Transport einer Schuhschachtel mit dem Flugzeug ist allerdings 300-mal so klimaschädlich wie mit dem Containerfrachter. Der Hersteller von Trail- und Winterschuhen bleibt deshalb auf der Erde. Genau wie die explizit als nachhaltiges Unternehmen gegründete Sneaker Brand Veja, die sogar ihre Produktsamples zwischen dem Atelier in Paris und der Fabrik in Brasilien verschifft. Was den Entwicklungsprozess zwangsläufig verlängert.
Icebug übrigens hat sich verpflichtet, ein Prozent seines Umsatzes in Klima- und Naturschutzprojekte zu investieren, unabhängig davon, ob das Unternehmen Gewinn macht oder nicht. Würde Nike so handeln, es wären jährlich 500 Millionen für die wirklich gute Sache. Just do it, Nike.

Fragen stellen
Der britische Ultraläufer und Ultralauf-Journalist Damian Hall hat dieser Misere ein Buch gewidmet: „You can’t run away from this“ erscheint in diesem Frühjahr unter dem Titel „Reduce, Reuse, Recycle“ (Verlag Delius Klasing) auch auf Deutsch. Das Dilemma, sich als Trailrunner:in achtsam und bewusst auf diesem Planeten zu bewegen, hat er auf diese griffige Pointe gebracht: „Either you are an Hyppcrite or an Asshole.“ Zu Deutsch in etwa: ein Heuchler oder ein Ignorant.
Was Damian Hall damit meint: Jede:r, der konsumiert, der isst, der sich durch diese Welt bewegt, verbraucht per se Ressourcen. Also ist es heuchlerisch, sich mit einem aus recycelten Materialien gearbeiteten Laufrucksack und einer sich verkniffenen Flugreise zur Transvulcania herauszureden. Idioten aber sind die, die deshalb also meinen, es sei sowieso alles egal und mehr noch: alles erlaubt. Was zählt, sind für Damian Hall die vielen kleinen Schritte. Zudem ermutigt uns der Gründer der „The Green Runner“-Bewegung, immer und überall Fragen zu stellen: „Fragt im Laufschuhladen, wie es denn sei kann, dass dieser Schuh angeblich nur 400 Meilen hält. Fragt den Rennveranstalter, warum der Start nicht einmal mit dem Bus zu erreichen ist. Fragt Eure Lauffreunde, ob man das Event in den Alpen nicht gleich noch mit einem Wanderurlaub verbindet und ob es nicht auch eine Idee wäre, mit dem Zug anzureisen.“ Kurzum: „Macht immer und überall deutlich, dass es da draußen Trailrunner:innen gibt, denen solche Themen nicht egal sind.“
Der Slogan von „The Good Runner“ scheint dabei direkt dem (Lauf-)Sport entliehen: Solutions for a fitter Planet. Das ist nicht nur eine gute Pointe, es vermeidet auch den zunehmend schwierigen und allzu oft missbrauchten Terminus der Nachhaltigkeit.

Die Henne und das Ei
Womit wir also zum Kern dieser Debatte gekommen wären. Sind es wir Konsument:innen, die es mit ihrer Konsumentscheidung oder eben der Konsumenthaltung richten sollen? Ist es die Industrie, von der wir tunlichst nur noch grüne Produkte zum möglichst fairen Preis erwarten. Ist es die Politik, die für die nötigen Leitplanken sorgen sollte? Aber das gerade in Europa gescheiterte Lieferkettengesetz zeigt ja, wie groß die Lobby jener ist, die keine Veränderung wollen.
„Wir sind, zumal wenn wir das mit der Energiewende endlich hinbekommen, absolut auf dem Weg zu einer Green Economy“, sagt Trendforscher Eike Wenzel, „nur kann man es nicht den Menschen überlassen, alltäglich die besseren, grüneren, nachhaltigeren Entscheidungen zu treffen. Die Politik muss hier Rahmenbedingungen setzen.“
Trailrunner Damian Hall erwidert, dass „alle die diesen Sport machen, immer auch Vorbild für andere sind. Es geht dabei gar nicht darum, immer alles richtig zu machen, es geht darum, sensibel zu sein für den Fakt, dass es so nicht weitergehen kann und dass wir jede einzelne Entscheidung – für den neuen Trailschuh, für die Reise zu einem Event – als Entscheidung begreifen und hinterfragen.“
Gerade hat Jasmin Paris den sagenumwobenen Barkley Marathon gefinisht, als erste Frau überhaupt. Sie trug dabei: Siebenachtel-Tights, irgendein rotes T-Shirt und einen Rucksack, der auch nicht mehr der neueste war.“
Dass so etwas noch möglich ist, in Zeiten all der durchgebrandeten Eliteläufer:innen, das sollten wir ganz unbedingt feiern. Viel mehr als das nächste neue Produkt.

Der Transport einer Schuhschachtel mit dem Flugzeug ist allerdings 300-mal so klimaschädlich wie mit dem Containerfrachter. Der Hersteller von Trail- und Winterschuhen bleibt deshalb auf der Erde. Wundervoll

von Clemens Niedenthal

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6. Mai 2024
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