Denis´Kolumne: Über Laufzeiten

1. April 2024 •

Hatte ich schon erwähnt, dass ich der Frühstücker bin? Ich bin kein Abendesser und schon gar kein Mittagesser. Das Frühstück ist voll mein Ding. Toastbrot - meinetwegen auch die „whole wheat“-Version - und Käseaufschnitt, ein Ei und Kaffee.
Toll. Danach noch die zweite und dritte Tasse mit der Tageszeitung. Kann dann bis 11 Uhr gehen. Am Wochenende. Das ist mein Luxus. Diese Gewohnheit hat sich in meinem Leben eingeschliffen und beeinflusst natürlich nun ganz entscheidend meinen Laufsport. Das Frühstück bestimmt ganz deutlich, dass ich kein Morgenläufer „mehr“ bin.  Wenn also nun von „Laufzeiten“ gesprochen wird, dann meine ich nicht eine Halbmarathon- oder 5.000-m-Bestzeit, sondern das, wenn ich gedenke mal loszulaufen.
Hatte ich dabei auch erwähnt, dass ich ein Frühschläfer bin? Das bringt mit sich, dass ich eigentlich abends und nachts eher nicht laufen kann und will. Es liegt also nicht an meiner Angst vor wilden Tieren, sondern rein an meiner Müdigkeit.
Gut: Ich bin also nicht fähig am Morgen zu laufen. Der Mittag ist mein Ding. Das nützt mir bei einem 100-km-Lauf herzlich wenig. Ich erinnere mich an den Mallorca-Ultratrail, den es leider nicht mehr gibt – was nicht an der Tatsache liegt, dass er um 0 Uhr gestartet wurde. Der Start war damals wunderbar. Ein kleines Dorf in der Bergen des Tramuntana, eine Gemeindeturnhalle voller Läufer und eine emotionale Rede des Veranstalters kurz vor dem Startschuss. Ich lief los, und ich rannte und ich war mitten in einer dunklen mallorquinischen Nacht mit Hunderten anderen und es war magisch. Es lief super, ich war flott und hatte gute Beine, wache Augen und Spaß!
Um 4 Uhr wurde ich müde. Ich gähnte beim Laufen. Um 4 Uhr 30 fielen mir die Augen immer wieder zu, und um 5 Uhr 30 mit dem Aufgang der Sonne war der Denis bettfertig. Ich legte mich an den Rand des Trails und schlief für 45 Minuten ein. (Komplett im Frottee-Schlafanzug-Feeling)
Einer nach dem anderen überholte mich. Ich war ein Opfer meiner Müdigkeit. Ein seliger Schlaf. Ein reiner Schlaf. Man geht nicht nachts um 0 Uhr zum Laufen – das sollte doch die Lehre daraus sein. Im Ziel nahm ich den Veranstalter in die Arme und bat ihn um eine andere Startzeit in Zukunft, weil ich doch nachts so gerne schlafe und nicht laufen mag. Er lachte und zuckte mit den Schultern. Dinge können nicht immer schwarz oder weiß sein. Nicht immer ist alles klar, liegt nicht eindeutig auf der Hand. Meist müssen wir uns arrangieren, Kompromisse ein gehen. Etwas geben, um etwas anderes dafür zu bekommen. Das lerne ich ein Leben lang. Das lehrt mir auch der Laufsport. Man kann nicht immer perfekt auf einen Wettkampf vorbereitet sein, man steht nicht immer an einer Startlinie und alles „passt“. Instagram erzählt uns allzu oft, dass alles „passt“, das alles „heil“ ist, aber das stimmt so nun nicht. Es sind die Graustufen, denen wir uns als Trailrunner annehmen müssen. Das hört sich jetzt abgedroschen an: Wenn wir es nicht schaffen, früh um 5 Uhr 30 für einen 15-km-Run vor die Tür zu gehen, weil wir dafür zu bequem, zu faul, zu müde sind, dann ist es doch umso besser, dass wir es am Mittag überhaupt tun. Mit Freude, mit Spaß. Überhaupt ist die Sache mit der Freude am Laufen das Wichtigste. Menschen, die in der Woche 40 km mit purer Freude und Hingabe laufen, haben mehr davon als diejenigen, die sich über Jahrzehnte hinweg die 120-km-Woche „einschenken“ und an ihr im wahrsten Sinne des Wortes „vergreisen“. Ich bin mir sicher – Laufen kann uns sehr viel geben, aber auch sehr viel nehmen. Laufen ist Sport.
Es muss nicht perfekt sein. Laufen kann auch mal halbfertig sein. Ich frühstücke also, ziehe mich danach in aller Ruhe um, steige in die Trailschuhe und setze mich dann, ganz bewusst, nochmals hin und trinke den zweiten oder dritten Kaffee.  Ich will mich nicht stressen lassen. Nicht durchs Laufen. Das soll mir Stress nehmen.  Wo wir dann am Ende doch noch bei der anderen „Laufzeit“ ankommen. Nicht wann, sondern wie lange. Nicht wie schnell. 3 km vor dem Ziel, also bei Kilometer 101, überholt mich ein hektisch wirkender Chilene (bei Ultratrails ist selten jemand hektisch)   und sagt zu mir „sub Seventeen“. Ich dachte er meint, ich sehe aus wie unter 17 und freute mich sehr, aber er wollte in unter 17 Stunden das Ziel erreichen, und es verblieben nur noch 20 Minuten in unwegsamem Gelände. Er und ich liefen in 16 Stunden 52 im Ziel ein.
von Denis Wischniewski

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