Szenenwechsel: Porträt Anna Hahner

4. Oktober 2021 •

Marathon Hoffnung, Olympionikin und zusammen mit Zwillingschwester Lisa eines der bekanntesten Laufgesichter Deutschlands. Das alles ist Anna Hahner. Nun gesellt sich eine neue Identität dazu: Wir haben die Trailrunnerin des Jahres getroffen, die im letzten Jahr sportlich, aber auch darüber hinaus, neue Pfade einschlug.

Hand in Hand rannten Kilian Jornet und Jason Schlarb 2016 nach 100 Meilen in Silverton ein und küssten gleichzeitig den legendären Zielstein beim Hardrock 100. „Wenn du lange Distanzen durch die Natur läufst und jene mit Mitläufern und freiwilligen Helfern teilst, erscheint dir ein Zielsprint nach 23 Stunden gemeinsamen Laufen als sinnloser Akt.“ Äußerte sich der katalanische Trailstar kurz darauf. Das kanadische Trailrunning Magazin lobte: „Kilian Jornet und Jason Schlarb zeigen großen Sportsgeist und teilen sich beim Hardrock 100 den Sieg.“ Hand in Hand liefen die Zwillinge Anna und Lisa Hahner 2016 beim olympischen Marathon in Rio über die Ziellinie. Abgeschlagen und weit entfernt von ihrer Bestzeit, aber froh es geschafft zu haben. „Scharfe Kritik am Jubel der Hahner Zwillinge“ titelte der Spiegel kurz darauf. Der DLV Sportdirektor schimpfte „Es wirkte, als absolvierten sie einen Volkslauf und nicht die olympische Entscheidung.“

Trailrunning und Olympischer Marathon. Beides Laufwettkämpfe und doch so verschieden. Über diesen heißen Marathon Tag in Rio wurde genug gesagt und geschrieben und so soll er in diesem Text auch das letzte mal thematisiert worden sein. Und dennoch wird diese Analogie zweier verwandter aber doch unterschiedlicher Sportarten ein zentrales Thema dieses Porträts sein. Ein Porträt über die schon genannte Olympionikin Anna Hahner, die im letzten Jahr ganz plötzlich und unerwartet abgebogen ist– von der Straße auf den Trail. 

(c) Raphael Weber

Es ist einer dieser unangenehm nassen Spätwintertage. Zu warm, um den vielen Niederschlag als Schnee im Tal ankommen zu lassen aber immer noch so kalt, dass Mütze, Handschuhe und Tight alternativlos sind. Ich bin mit Anna Hahner zum Laufen verabredet. Besser gesagt zum Trailrunning. Wir laufen eine von Annas Trainingsrunden im Chiemgau. 10 Kilometer, 600 Höhenmeter. Dank Annas aufgeschlossenem und positiv mitteilungsfreudigem Wesen sind wir schnell im Redefluss. Ich will von ihr wissen was sie wohl vor zwei Jahren geantwortet hätte, wenn man sie nach Trailrunning gefragt hätte. Sie lacht. „Dass es einen Unterschied zwischen Berglauf und Trailrunning gibt, war mir nicht wirklich bewusst.“ Das hat sich inzwischen geändert. Doch von vorn: Nach einigen Veränderungen privater, aber auch sportlicher Natur, zog es die gebürtige Hessin an den Chiemsee (zuvor hatte sie ein Jahr in München und einige Jahre im Schwarzwald gelebt). Der wiederholte Traum: eine zweite Olympia Teilnahme bei den Spielen in Tokyo im Sommer 2020. Doch die Möglichkeit die Quali Norm bei einem der Frühjahrs Marathons  zu laufen, machte die Pandemie kurzfristig zunichte. Und nun? Die Form über Monate hinweg halten, ohne zu wissen, ob und wann sie noch einmal die Chance bekommt? Ein schwieriges und ziemlich zermürbendes Unterfangen. Als dann noch ein einschneidendes Erlebnis mit einem vermeintlichen Fan, der nicht in der Lage war, die Distanz zu wahren, hinzu kommt, ist die Luft erstmal raus. Die Motivation und Freude für das Laufen verschwunden. Doch da waren ja auf einmal die Berge vor der Haustür. „In meiner neuen Wahlheimat dem Chiemgau sind die Voralpen ganz nah. Mein Trainer Dan Lorang, bejahte meine Anfrage, die lockeren Radeinheiten durch Wanderungen im Gebirge zu ersetzen. Irgendwann trabte ich die Abstiege einfach hinunter, um schneller zurück zu sein.“ Beschreibt sie ihre Trailrunning Anfänge. Im Frühjahr 2021 begleitet Anna ihren Adidas Teamkollegen Janosch Kowalczyk bei dessen Everesting Projekt im Allgäu und lernt dort auch Marcel Höche kennen. Dieser nimmt sie kurz darauf mit in die Berge zum Laufen und überredet sie bald darauf bei ihrem ersten Trail Wettkampf zu starten. Anna meldet sich also beim Kaiserkrone Speedtrail an. Lustigerweise über den für sie ganz ungewohnten offiziellen Weg mit Onlineformular ausfüllen und Startgeld zahlen. „Das letzte was ich wollte, war groß Aufmerksamkeit erregen. Meine Absicht etwas unter dem Radar zu bleiben, erübrigte sich aber schon kurz darauf, als mich der Veranstalter kontaktierte und fragte, ob ich für Interviews bereitstünde“ Anna’s erster Trailwettkampf war gleich erfolgreich. Sie siegte und, viel wichtiger,  fand sofort großen Gefallen am Laufen im Gelände. Nachhaltig begeistert war sie aber vor allem von der Trail Community und dem lockeren und zwanglosen Beisammensein bei Bier und Snacks vor und nach dem Lauf. „Das Trailrunning kam für mich genau zum richtigen Zeitpunkt.“ Sagt die 32-Jährige die seit über einem Jahr ohne Laufuhr unterwegs ist. Auch das hat mit der zurückgewonnen Freude am Laufen zu tun. „Ich hatte Angst, dass mir der Spaß an meiner großen Leidenschaft, dem Laufen, verloren geht. Dass ich das verliere, was mein Leben ausmacht und was es noch bis ins hohe Alter ausmachen soll. Ich wollte dieses Gefühl zurück, was ich hatte, als ich 17 war und mit dem Laufen begonnen hatte. Also habe ich die Uhr beiseite gelegt.“ 

Genau dies scheint dann auch ein Grund zu sein, warum dem Gefühlsmensch Anna Hahner der Einstieg in das Trailrunning so hürdenlos gelang. Dieses Laufen nach Körpergefühl, was im Trailrunning wo Splitzeiten und Pace eine eher untergeordnete Rolle spielen, deutlich ausgeprägter ist, war der Adidas Athletin ohnehin schon immer sehr nahe. 

(c) Raphael Weber

Wir sind inzwischen am höchsten Punkt unserer Route angekommen. Hoch genug, dass der starke Regen in Schnee übergegangen ist. Allein an Annas Routenauswahl merkt man wie sehr sie diese neue Art zu Laufen verinnerlicht hat: Forststraßen und einfache Wege hinauf, steile und anspruchsvolle Singletrails hinab. Der Schnee auf dem schmalen Trail macht das Laufen nicht gerade einfacher, teilweise ist es sogar etwas ausgesetzt. Doch Anna lässt es laufen. „Downhill macht mir richtig Spaß“ sagt sie. Das ist nicht zu übersehen, denn im Gegensatz zu manch anderen Trail-Einsteigern, scheint ihr das Bergablaufen im Gelände im Blut zu liegen. Als ich von meinen Skyrunning Plänen diesen Sommer berichte, steigt sie sofort mit ein. „Tromso Skyrace!“ klar ist ihr natürlich ein Begriff. Die Aussage, dass Skyrunning auch auf ihrer Agenda ziemlich weit oben steht, verwundert mich dann doch etwas und ich frage nach dem Warum. Die Antwort lässt mich schmunzeln: „Schon, weil es am weitesten Weg vom klassischen Laufsport ist.“ Sagt Anna und fügt hinzu: „Ich will bewusst etwas machen, wo ich weiß, da liegen jetzt nicht meine Stärken. Nur so kann ich mich weiterentwickeln.“

Anna’s Stärken! Natürlich liegen diese nach 15 Jahren Leistungssport auf höchstem Niveau noch immer in der Ebene und auf der Straße. Wie sind sie denn nun gestrickt die Trailrunner einerseits und die Straßenläufer andererseits? Wer, wenn nicht Anna Hahner, könnte dies nun besser beurteilen. „Ich sehe die Unterschiede garnicht so sehr zwischen dem Otto-Normal Marathon Läufer und dem Trailrunner. Anders ist es vielleicht bei denen, die wirklich mit der klassischen Leichtathletik sozialisiert wurden. Auf der Bahn gibt es dann doch noch: Dieses Konkurrenzdenken, was öfters auch den Weg über den Wettkampf hinaus findet. Beim Trailrunning ist das anders. Da gibt man alles im Wettkampf, um schneller als die Konkurrentin zu sein. Aber davor und danach ist der Respekt riesig und basiert nicht selten sogar auf echten Freundschaften.“ 

Aber natürlich ist auch im Trailrunning nicht alles gold was glänzt: „Ich denke beide können voneinander lernen. Die Leichtathletik mit ihren festen Strukturen vom Trailrunning eine gewisse Freiheit und Lockerheit. Und das Trailrunning vom organisierten Laufsport wie man Kräfte bündelt und vereint, um gute Dinge voran zu bringen.“

(c) Raphael Weber

Unsere nasse aber kurzweilige Laufrunde ist inzwischen beendet und wir sitzen im trockenen beim Kaffee. Natürlich müssen wir noch über die Zukunft reden. Dass dieses Trailrunning viel mehr als nur eine kurze Episode einer passionierten Marathonläuferin sein wird, ist in unserem Gespräch klar geworden. Nein Anna Hahner ist ab diesem Jahr Adidas Terrex Athletin (zuvor Adidas Running) und hat in den kommenden Jahren so einiges vor auf dem Trail: „Es sind vor allem auch die langen Distanzen die mich faszinieren. Dieser starke mentale Aspekt, das lange Beschäftigen mit dir selber und den eigenen Gedanken.“ Letzteres ist etwas, was für Anna alles andere als fremd ist. Seit Rio 2016 zieht sich die studierte Religionslehrerin regelmäßig für eine Woche ins Kloster zurück, um „mir wieder bewusst zu werden, was ich eigentlich fühle.“ Ein fest strukturierter Tagesablauf der mit dem Morgengebet um 6 Uhr beginnt, wartet dort auf sie. Ablenkungen und Zerstreuungen durch Medien oder ähnliches, gibt es keine. Das Smartphone bleibt aus. „Es ist natürlich nicht verpflichtend an allen Programmpunkten teilzunehmen. Ich mache aber eigentlich immer alles mit.“ schwärmt die gläubige Katholikin von ihrer Auszeit. Dass Anna irgendwann mal einen 100 Meiler läuft, will sie also überhaupt nicht ausschließen. Dieses Jahr soll die längste Distanz der 55 Kilometer lange OCC im Rahmen des UTMB werden, wo sie sich der internationalen Konkurrenz stellen will. Gerade von den internationalen Rennen, auf welche sie sich dieses Jahr noch mehr fokussieren möchte, verspricht sie sich einiges. „Natürlich ist es immer ein gutes Gefühl wenn man Rennen gewinnt. Aber ich will langfristig herausfinden, was in diesem Sport möglich ist. Da ist es mir kurzfristig erstmal egal, wenn mir bei internationalen Wettkämpfen meine Grenzen aufgezeigt werden, wenn ich dafür langfristig dazulerne.“ 

Wer sind die Hahner Twins? Dies anhand des Social Media Auftritts der beiden Zwillinge zu beurteilen, fiel uns nicht immer leicht. Während die eine („Lisa ist noch immer Feuer und Flamme für die Straße“) inzwischen in der Hauptstadt weilt, dürfen wir nun hautnah miterleben wie die andere eine neue Leidenschaft für sich entdeckt. Die 32-jährige Anna Hahner ist neugierig, entdeckungshungrig und tatkräftig, jemand der sich lieber von ihren Gefühlen als von äußeren Zwängen leiten lässt. Aber auch eine Läuferin, die schon viel erlebt und gesehen hat, die schon in jungen Jahren mit Dingen konfrontiert war, die andere ihr ganzes Leben nicht bewältigen müssen. Trailrunning ist deshalb keine Flucht für Anna, aber doch eine willkommene Gelegenheit den Fokus neu zu justieren. Etwas weg vom Leistungsdruck und den hohen Erwartungen durch Externe, zurück zum wirklich Wichtigen, der Freude am Laufen. Was natürlich am Ende immer die fundamentale Basis für Spitzenleistungen sein muss. Jene wird Anna auch in Zukunft erbringen, da sind wir uns sicher. Nur eben mit Zugspitze und Mont Blanc als Kulisse, statt Brandenburger Tor und Zuckerhut. Ob diese Erfolge dann mit „Hände in die Höhe“ oder „Hand in Hand“ enden, wird dann zum Glück nicht mehr von Bedeutung sein. 

Dieser Artikel erschien im Sommer 2021 in der gedruckten Version des Trail Magazins.

von Benni Bublak

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