Profisportler sein. Das ist in einigen Sportarten oft eine Lizenzfrage. Vom zuständigen Verband vergeben, darf sich ein jeder Inhaber dieses Stück Papiers ab sofort professioneller Sportler nennen. Im Triathlon beispielsweise ist dies die Deutsche Triathlon Union. Der Erwerb dieser Lizenz ist in diesem Fall allerdings keine große Hürde. Dass der entsprechende Sportler auch seinen Lebensunterhalt mit Triathlon beschreitet, ist allein durch die Profilizenz noch lange nicht gesichert. Im Ultrarunning und Trailrunning Sport ist die Verbandsfrage traditionell schwierig. Lizenzen gibt es keine. Profisportler einige Wenige.
Seit diesem Jahr ist Janosch Kowalczyk ein Ultratrail-Profi. Seinen lukrativen Job als Software-Ingenieur hat er Ende letzten Jahres aufgegeben, um seine Zeit zu 100 Prozent dem einen Ziel zu widmen: Der beste Läufer zu werden, der er nur sein kann. Gelaufen ist Janosch irgendwie schon immer. Als Kind und Jugendlicher im Leichtathletik Verein. 2:40 Minuten hat er damals für den Kilometer auf der Bahn gebraucht. Eine Leistung die Janosch im Gespräch sogleich relativiert. „Für ganz vorne bei regionalen und nationalen Meisterschaften hat das eben dann doch nicht gereicht.“ Zumindest aber die persönliche Messlatte hat der Leonberger anscheinend schon in Jugendzeiten sehr hoch gehängt. Es folgten ein paar Jahre in welchen sich der Fokus ein wenig verschob- weg vom sportlichen hin zu gemeinschafts-tauglicheren Vergnügungen eines heranwachsenden Mannes. Während des Mechatronik Studiums in Karlsruhe entflammte das Sportfieber erneut. Janosch lief Marathon und machte lange Ausfahrten mit seinem Rennrad. Zum Ultratrail kam er fast per Zufall im Jahr 2012. Nach einer Kollision mit einem Auto brach zum Glück nur das Fahrrad. Fortan war Janosch gezwungenermaßen erstmal zu Fuß unterwegs, was die spontane Idee mit sich brachte sich für einen Ultratrail sechs Wochen später anzumelden. Nach seinem ersten Platz auf der ersten Etappe (58 Kilometer) des zweitägigen Black Forest Trailruns, rief er den Tränen nahe seine Mutter an. Es waren vor allem Glückstränen über den plötzlichen und überraschenden Erfolg, aber auch Sorgentränen, wie er denn nun mit diesen lädierten Beinen seine Spitzenposition auf Etappe zwei verteidigen solle. Es glückte. Noch im gleichen Jahr lief er beim Allgäu Panorama Ultratrail ebenfalls auf den obersten Podestplatz. Kaum im Ziel wurde er vom erfahrenen Ultraläufer Petru Muntenasu gefragt, ob er denn mit ihm den Transalpine Run laufen wolle. Nicht mal 2 Wochen später stand er also beim berühmten Etappenlauf am Start und finishte ebenfalls. Diesmal allerdings mit Blessuren. Eine Knieverletzung plagt ihn nach diesem Kraftakt. 1,5 Jahre sollte ihn diese Verletzung nicht mehr loslassen und bremste somit erstmals die frisch aufgeflammte Laufliebe.
Nach einem Auslandssemester beginnt Janosch 2014 wieder mit dem Training. Er läuft nicht viele Wettkämpfe, aber wenn er läuft, ist seine Form großartig und der erste Platz meist seiner. 2016 empfiehlt er sich mit seinem Sieg und Streckenrekord beim Keufelskopf Marathon Trail für die 50 Kilometer lange Ultratrail Weltmeisterschaft in Italien im darauffolgenden Jahr. Dort gelingt Janosch sein erster großer Coup. Nur um wenige Sekunden verpasst er im Weltklasse Feld die Top Ten Platzierung. Im Folgejahr kann er dies sogar noch toppen und läuft auf der 85 Kilometer langen WM-Strecke in Spanien auf Rang 10. Vier Minuten vor ihm US-Star Zach Miller. Einige Plätze hinter ihm Stars wie Tom Owens oder der Pole Marcin Swierc. Dass er in der Weltspitze angekommen ist, beweist er dann spätestens im Dezember gleichen Jahres, als er alle seine Konkurrenten überraschte und als Sieger über die Ziellinie des 100 Kilometer langen und zur World Tour gehörenden Ultra Trail Cape Town in Kapstadt lief. „Diese drei Rennen liefen einfach perfekt. Ich war wie im Rausch. Das war dann irgendwie auch der Grundstein für diese verrückte Profiidee.“ Sagt Janosch über seine zwei Top Platzierungen bei den Weltmeisterschaften und den Sieg in Südafrika.
Janosch ist gelernter Ingenieur und als dieser doch irgendwie Perfektionist. „Ich will halt mal so ein Rennen haben, ja ein Rennen reicht da fast, wo ich danach weiß, ich hab jetzt alles was mir möglich ist aus meinem Körper rausgeholt.“ Und das geht, wenn man ehrlich zu sich selbst ist, eben nur als Profi. Bislang hatte Janosch die Trainingseinheiten wochentags in den frühen Morgenstunden oder am Abend absolviert, am Wochenende endlos Kilometer gesammelt, um am Montag wieder müde bei der Arbeit aufzuschlagen. Oftmals litt darunter die Regeneration und der Schlaf. Erst jetzt hat der Adidas Terrex-Athlet genug Zeit die harten Trainingseinheiten auch optimal zu verarbeiten. Regelmäßige Yoga-Einheiten, Kraft und Stabi-Übungen und der wöchentliche Besuch beim Physiotherapeuten gehören nun genauso zu seinem Alltag wie das Lauftraining.
Bodenständig wie er ist, blieb Janosch in seinem Heimatort Leonberg wohnen. Nach der Kündigung mit allen Freiheiten der Welt versehen, wären viele wahrscheinlich erstmal auf Weltreise gegangen, hätten hier und da gelebt und trainiert. Für Janosch war dies, auch ohne die derzeitige Krisensituation, keine Option gewesen. Seine festen Strukturen und die vertraute Umgebung, die ihm ein optimales Training erlauben, findet er eben nur zu Hause. Aber natürlich sind spezifische Trainingsausflüge, beispielsweise in die Alpen, nun viel einfacher möglich als zuvor.
Nicht vor Ort, aber in ständigem Kontakt mit Janosch, ist sein Trainer. John Fitzgerald ist US-Amerikaner und gehört zur dort sehr bekannten Trainergruppe um Ultraläufer Jason Koop. Kurz nach dem Erfolg in Südafrika kam er auf Janosch zu und fragte ihn ob er mit ihm trainieren wolle. Zuerst skeptisch, willigte Janosch schließlich ein und konnte sich nur kurze Zeit später ein Leben ohne externe Trainingsstruktur nicht mehr vorstellen. Mindestens alle zwei Wochen telefoniert Janosch mit John. Rational und reflektiert wie er ist, kommen des öfteren schon mal Zweifel auf, ob der Sinnhaftigkeit von Janoschs hartem Training. Hier profitiert er besonders von der positiven und amerikanisch-überschänglichen Mentalität seines Trainers. „Oft bin ich richtig müde und dann irgendwie auch enttäuscht wenn ich mein forderndes Trainingsprogramm nicht komplett durchziehen kann. John schafft es immer wieder mich aufzubauen und verkauft mir sogar einen lockeren Spaziergang als perfekte Trainingseinheit: ‚All good Janosch. Time on feet is everything.’“ Natürlich bringt so ein Trainer auch immer einen neuen trainingsmethodischen Input. „John will dass ich einige Läufe extrem langsam mache. Das ist super schwierig. Teilweise habe ich mir Accessoires besorgt, die mich künstlich verlangsamen. So riesige Kopfhörer zum Beispiel. Oft laufe ich dann ganz gemütlich wie Rocky Balboa im 5:30er Schnitt meine 12 Kilometer Runde. Aber die Wirkung ist echt erstaunlich. Meistens fühlen sich meine Beine danach besser an als zuvor.“
Natürlich müssen wir hier auch über das Jahr 2019 reden. Von Erfolg zu Erfolg gerannt, hatte das Jahr 2018 den Sympathieträger mit Schnauzbart regelrecht verwöhnt. Janosch ist jemand, der sich extrem auf ein (oftmals noch weit entferntes) Ziel fokussieren kann. Während andere regelmäßig Fitnessnachweise in Form von Wettkämpfen brauchen, um die Motivation hochzuhalten, trainiert Janosch mit stoischer Ruhe über Monate hinweg auf den einen Höhepunkt zu. Genauso konsequent wie er zuvor trainiert hat, gönnt sich der 30 Jährige nach jenem Highlight aber auch mal ein paar Wochen Zerstreuung ohne jegliche Laufkilometer und mit dem ein oder anderen Kaltgetränk. 2019 hieß der besagte Höhepunkt eben Ultra Trail Du Mont Blanc. Die Vorbereitungswettkämpfe liefen dieses mal nicht ganz nach Plan. Beim ersten Versuch über 100 Meilen rund um den Mount Fuji in Japan muss er 40 Kilometer vor dem Ziel völlig erschöpft aussteigen. Beim Walser Ultra Trail zollt er seinem enorm hohen Trainingsumfang in den Wochen zuvor Tribut und landet trotz absoluter Favoritenrolle nur auf Rang 9. Nichtsdestotrotz steht Janosch Ende August voller Zuversicht auf dem berühmten und komplett überfüllten Kirchenvorplatz in Chamonix, um sich mit den besten Ultraläufern der Welt zu messen. Nach der Hälfte noch voll auf Kurs, kommt nach knapp 120 Kilometern der Einbruch. Nichts geht mehr und Janosch muss aussteigen. Ob es an dem selbst gemachten Druck lag, sein zukünftiges Profidasein rechtfertigen zu müssen, an fehlerhaftem Training oder an ganz was anderem, vermag Janosch im Nachhinein garnicht zu sagen.
2019 wird damit für Janosch sportlich gesehen ein Jahr zum Vergessen. Nicht die besten Voraussetzungen um mit vollem Selbstvertrauen, den Job zu kündigen und ein neues Leben zu beginnen. Aber Janosch hält an seinem Plan fest. Nur wenige Wochen nach dem Misserfolg beim UTMB wagt er den mutigen Schritt und verlässt seinen alten Beruf. Natürlich hat sich auch Janosch das erste Jahr als Profi anders vorgestellt. Doch die Pandemie beraubt ihm zunächst seiner Wettkampfpläne. Aber Janosch sieht das eigentlich ganz positiv: „So habe ich noch etwas mehr Zeit ohne große Wettkampf-Unterbrechungen zu trainieren und mich langsam aber stetig an den hohen Trainingsumfang eines professionellen Ultraläufers zu gewöhnen. Schon Ende August diesen Jahres hatte ich soviel Trainingsstunden gesammelt, wie im kompletten Jahr zuvor.“
Natürlich kommen auch manchmal leise Zweifel auf. Schließlich ist Ultratrail Profi zu sein doch eine ziemlich ichbezogene Angelegenheit und so stand auch Janosch schon vor der Frage, welchen gesellschaftlichen Nutzen er denn nun noch habe. Nicht unbedingt vereinfacht wird dies durch so manchen nicht negativ gemeinten aber achtlosen Kommentar mancher Zeitgenossen. „Die stellen sich das wie Dauerurlaub vor. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wenn man dem Anspruch an sich selbst genügen will, ist das teilweise echt anstrengende Arbeit. Da kommen dann so Sätze wie: ‚Ach ja, und Montags chillst du dann immer in der Sauna.‘ Ja das tue ich. Aber eben auch, wenn ich eigentlich keine Lust dazu habe und lieber zu Hause bleiben würde.“ Selbstdisziplin und Selbstorganisation sind am Ende die Tugenden, die einen Ultratrail-Profi ausmachen. Vorgegebene Strukturen und Trainingsangebote gibt es schließlich keine in diesem Sport. „Ich bin jetzt dazu übergegangen mir einen Stundenplan, ähnlich wie in der Schule, zu schreiben, um etwas Struktur in meinen Alltag zu bekommen. Ich habe das dann mal zusammengerechnet. Am Ende komme ich mit allem drum und dran meist auf eine 40-Stunden Woche.“
Dieses Porträt über Janosch und sein erstes Jahr als Profi war von langer Hand geplant. Optimalerweise wäre die Überschrift gewesen: „Ein Jahr nach seinem DNF läuft Janosch in seinem ersten Jahr als professioneller Ultraläufer in die Top Ten beim UTMB“ Doch daraus wurde bekanntermaßen nichts. Der UTMB ist abgesagt, aber der Adidas-Läufer bekommt dennoch seinen mehr als zufriedenstellenden Saison-Abschluss. Beim neu aufgelegten Hunderter beim Innsbruck Alpine Trail Festival läuft Janosch unangefochten und in sensationeller Zeit auf Platz 1.
„Ich denke, ich will das mit dem Profi noch mindestens 5 Jahre so durchziehen. Bis jetzt habe ich noch nichts bereut.“ äußert er sich nach seinem Sieg in Innsbruck selbstsicher.
‚Ein Profi ist jemand der einen Sport als Beruf ausübt.‘ So heißt es zumindest im Online Wörterbuch. Und Beruf kommt ja schließlich von Berufung. Im Gegensatz zur Arbeit, wird eine Tätigkeit erst dann zur Berufung, wenn man mit sich mit ihr identifizieren kann, sie gerne macht und sie einen erfüllt, lässt jenes Wörterbuch ebenfalls verlauten. Dass alle diese Kriterien auf Janosch und das Ultralaufen zutreffen, steht außer Frage. Profi-Lizenz hin oder her. Janosch Kowalczyk der Vollzeit-Läufer! Das macht einfach nur Sinn.