Miss Spine Race: Interview mit Jasmin Paris

10. März 2022 •

New York Times, The Guardian und die F.A.Z. – als der Sport Ultrarunning Anfang 2019 einmal die ganz große Presseluft schnuppern durfte, war das vor allem einer Frau zu verdanken. Die 35 jährige Jasmin Paris gewann das Spine Race 2019. Ein Rennen auf dem 429 km langen Pennine Way- mitten durch den britischen Winter. Wir erklären es gern noch einmal: Sie ließ nicht nur alle Frauen hinter sich, sondern auch alle Männer. Als wäre dies nicht schon Heldentat genug, unterbot sie auch noch den Streckenrekord um ganze 12 Stunden, während sie sich an den Checkpoints Muttermilch für ihre 14 Monate alte Tochter abpumpte. Wenn die im Peak District aufgewachsene Tochter eines Mathematikers nicht gerade durch die schottischen Fells und Munros läuft, arbeitet und forscht sie als Veterinärmedizinerin an der Universität Edinburgh. Die Inov-8 Läuferin liebt die ausgesetzten Pfade. Sie ist nicht nur ein mehrmaliger britischer Fellrunning Champion, sondern war auch bei internationalen Skyraces (Trömso, GlenCoe) erfolgreich. Besonders ins Herz geschlossen hat sie aber das lange Laufen ohne Startnummer. Nicht umsonst hält sie die FKT-Rekorde für alle drei großen Fellrunning Runden. Seit sie im schottischen Kirk Yetholm als erste über die Ziellinie des Spine Race lief, ist sie nicht mehr nur Eliteläuferin, sondern auch Botschafterin. Botschafterin für Chancengleichheit, Freiheit und Gleichstellung von Frauen und Müttern- im Sport Ultralaufen aber auch weit darüber hinaus. Anlässlich unseres großen Ultrarunning Frauen-Specials können wir uns daher keine bessere Gesprächspartnerin vorstellen. Nachdem der große Presseansturm aus dem letzten Jahr etwas abgeebbt ist, wird es für uns höchste Zeit ausführlich mit der sympathischen und überaus authentischen Britin zu sprechen.

Hallo Jasmin, du hast keine typische Läufervergangenheit. Aufgewachsen in den Wäldern des Peak District hast du dich in deiner Jugend an Fußball, Schwimmen und Reiten versucht. Wie kam es, dass du zur Läuferin wurdest?

Vor meinem Universitätsabschluss im Jahr 2008 bin ich nur gelegentlich ein paar Runden im Park gelaufen. Allerdings war ich schon immer viel wandernd in den Bergen unterwegs- meine Eltern haben uns zum Wildcampen mitgenommen seitdem ich denken kann. Ein wenig schneller fortbewegen mit leichterem Gepäck und schon wird man vom Bergwanderer zum Bergläufer. In die Wettkampfszene bin ich eingetaucht als ein Kollege, ich arbeitete damals in einer Tierarztpraxis in Liverpool, mich zu einem lokalen Fellrace mitnahm. Obwohl ich hoffnungslos außer Atem war und aufgrund meines nicht geeigneten Schuhwerks einige mal am Boden lag, hatte ich unendlich Spaß. Danach trat ich dem lokalen Laufclub bei und war schnell Feuer und Flamme. 

Du bist außergewöhnlich oft bei Rennen unterwegs, die eine ganz spezielle Abenteuernote aufweisen- sei es hinsichtlich ihrer Länge, ihrer Ausgesetztheit oder dem Mangel an Markierungen. Wie wichtig ist dieser alpine Charakter für dich? 

Die Bewegung im technischen Gelände ist beglückend und herausfordernd zugleich. Du musst im dynamischen Umfeld intuitiv Entscheidungen treffen. Während du voll auf die nächsten paar Meter und das Setzen deiner Füße fokussiert bist, vergisst du dass du eigentlich müde bist oder wieviel Meter noch vor dir liegen. Außerdem sind es genau diese Rennen, die mich zu den wildesten und schönsten Plätzen in den Bergen bringen. Plätze die ich am meisten liebe. Auch das Teamerlebnis bei Rennen wie dem PTL oder dem ELS2900 schätze ich sehr. Geteilte Bergerlebnisse schweißen Freunde zusammen, wie es kaum eine andere Aktivität vermag. Belanglosigkeiten geraten in Vergessenheit und die elementaren Dinge rücken in den Fokus. 

 Apropos geteilte Lauffreude: 2015 bist du mit deinem Ehemann Konrad den Transalpine Run gelaufen. Bei diesem uns sehr bekannten Rennen haben wir auch oft erlebt das Beziehungen auf eine harte Probe gestellt werden. Habt ihr solche Erlebnisse ebenfalls gehabt?

 Nein, tatsächlich nicht. Konrad und ich sind schon etliche Wettkämpfe gemeinsam gelaufen und ich kann mich nicht erinnern dass wir jemals ernsthafte Auseinandersetzungen hatten. Der TAR war ein hartes Rennen für Konrad, weil er aufgrund einer Verletzung kaum trainieren konnte. Das wir am Ende als zweites Mixed Team das Ziel erreichten, fühlte sich daher wie ein echter Teamerfolg an. Wir können uns einfach keinen besseren Urlaub vorstellen. Rennen am morgen und Eiscreme am Nachmittag

Jasmin Paris nach dem Finish des "Fun Runs" beim Barkley 2020 (c) Howie Stern

2016 war das zumindest läuferisch erfolgreichste Jahr für dich. Du hast die Rekorde für alle drei großen Fellrunning Runden (Bob Graham, Paddy Buckley, Jamie Ramsay) gebrochen, du hast das Tromso Skyrace sowie GlenCoe Skyline gewonnen und warst Sechste beim UTMB. Auf welche dieser Leistungen bist du am meisten Stolz und welche bereitete dir rückblickend am meisten Freude?

Bei der Charlie Ramsay Round in Schottland konnte ich nicht nur den Frauen sondern auch den Overall Rekord brechen. Darauf  bin ich schon stolz. Inzwischen ist der Rekord schon wieder gebrochen worden- von einem guten Freund von mir. Ich begleitete ihn als Pacer auf dem letzten Abschnitt. Das bringt mich auch schon zu dem Grund, warum es dieses Erlebnis war, dass ich von allen am meisten genoss. Einen Tag lang mit sehr engen Freunden  über schroffe schottische Berge zu laufen ist für mich die Quintessenz von Glück. 

Ein Jahr später bist du schwanger geworden und deine Tochter wurde geboren. Kannst du uns daran teilhaben inwieweit dieses Ereignis dein Leben und deine Einstellung zum Laufen beeinflusste?

Die Geburt unserer Tochter hat die Art und Weise wie ich das Leben betrachte grundlegend über den Haufen geworfen und ich denke das Laufen wird nie wieder auch nur annähernd so wichtig sein wie zuvor. Laufen hat jetzt einige neue Aufgaben übernommen. Es ist die einzige Zeit des Tages, in der ich nur mit mir allein bin und die ich nutze um durchzuatmen und meine Batterien wieder aufzuladen. Ich bin sehr dankbar für diesen neuen Aspekt den mir mein Sport bietet. 

 

Zweifellos bist du ein Vorbild für viele Läuferinnen. Frauen sind immernoch eine große Minderheit bei den meisten Ultrarunning Events. Was denkst du sind die Gründe dafür und welche motivierenden Empfehlungen kannst du weiblichen Ultrarunning Aspirantinnen mit auf den Weg geben. 

Ich denke ich hatte das große Glück eine previligierte Kindheit und Jugend zu erleben, welche mir dieselben Chancen und das gleiche Selbstbewusstsein schenkte wie meinen männlichen Geschwistern, Freunden und Kollegen. Dadurch habe ich das Frau sein nie als Barriere zu dem was ich sein wollte, wahrgenommen. Sicherlich wird es auch einfacher, wenn man so etwas wie ein Eliteathlet ist.

Mir ist durchaus bewusst, dass es Frauen gibt, die verunsichert sind von einem Männer-dominierten Sport, gerade wenn die Events wie so oft als „brutal“ und „extrem“ beworben werden. Vielleicht sehen sie dadurch nicht, dass die Fähigkeiten und physischen Voraussetzungen, die für diese langen Rennen gebraucht werden, in gleichem Maße bei beiden Geschlechtern vorhanden sind- ja das Frauen sogar Vorteile haben in manchen Aspekten. Wenn ich nur einen Hinweis geben könnte, wäre es dieser: Macht euch nicht zu viel sorgen und probiert es einfach mal aus. Die Szene ist sehr freundlich und die Spannweite der benötigten Fähigkeiten ist sehr breit- was den Sport wunderbar inklusiv macht. 

Schön gesagt. Als Ausnahmeläuferin die du ohne Zweifel bist, hast du des öfteren das Vergnügen gehabt gegen männliche Topläufer zu laufen, die es nicht gewohnt sind von Frauen herausgefordert zu werden. Ist das etwas was dich antreibt? Ist es ein Unterschied für dich ob dein Konkurrent eine Frau oder ein Mann ist?

Ich konzentriere mich generell nicht auf das Geschlecht meiner Mitstreiter. Eigentlich laufe ich immer so gut wie ich gerade kann, ganz egal wer in meiner Nähe ist. Sicher bin ich ein kompetitiver Mensch, aber viel Motivation kommt tief aus mir heraus, denke ich. Wenn ich weiß, dass ich alles gegeben habe, stört es mich auch nicht zu verlieren. Im Gegenteil, dies sind oft die Leistungen die mich besonders Stolz machen. 

Jasmin Paris mit Lazarus Lake beim Barkley 2020 (c) Howie Stern

Lass uns über deinen Sieg beim Spine Race letztes Jahr sprechen. Bei solch einem langen Rennen ist der Umgang mit Schlafmangel ein sehr wichtiger Faktor. Wie hast du dich darauf vorbereitet?

Ich glaube was den Schlafmangel angeht war ich besser vorbereitet, als jeder andere an der Startlinie. In der direkten Vorbereitung für das Rennen wachte meine Tochter noch einige Male pro Nacht auf, um gefüttert zu werden. Außerdem stand ich jeden morgen um 5 Uhr auf, um noch vor der Arbeit zu trainieren. 

Respekt. Dieses Problem war also gelöst. Gib uns doch bitte einen kleinen Einblick wie sich deine restliche Vorbereitung für das Spine Race gestaltete?

Zwischen Oktober und Januar trainierte ich jeden Tag um 5 Uhr morgens, auch am Wochenende. So war ich selbst bei längeren Trainingseinheiten von 5-6 Stunden  am späten vormittag zurück, um möglichst wenig Zeit mit der Familie zu verlieren. In der Woche trainierte ich meistens 1-1,5 Stunden wobei diese Einheiten oft Tempoläufe, Bergintervalle und Fartleks enthielten.  Ich steigerte mich von 40 Meilen bis hin zu 100 Meilen die Woche, auch das Gewicht meines Rucksacks steigerte ich progressiv- bis er am Ende ein Gewicht von 6 kg erreichte. Das Spine Race war das erste Rennen für das ich spezifisch mit einem Trainer (Damian Hall) trainierte – die vorgegebene Struktur war dabei sehr nützlich um meine Motivation hochzuhalten. 

Während des Rennens warst von deiner 14-Monate alten Tochter für eine ungewohnt lange Zeit getrennt. Würdest du soweit gehen, dass die Erwartung deine Tochter möglichst bald wieder zu sehen dich mehr angetrieben hat als der Gedanke den Lauf zu gewinnen?

Ja, wieder mit meiner Tocher vereint zu sein hat mich ungemein motiviert die Ziellinie möglichst schnell zu erreichen. Vor dem Rennen war ich nur zweimal für eine Nacht von ihr getrennt. Im Vorfeld hatte ich gehofft die Zeit der Trennung auf 3 Nächte zu beschränken- ein Glück hat das sehr gut geklappt.  

Mit deinem Overall Sieg beim Spine Race hast du enorm dazu beigetragen dass der Sport Ultralaufen weltweit Beachtung gefunden hat- selbst Chelsea Clinton tweetete über dich. Auch wenn das sicher nicht deine Vorsatz war, denkst du Ultrarunning ist ein Sport der mehr Aufmerksamkeit verdient hat oder bist du vielleicht sogar glücklich mit dem Nischendasein und dem geerdeten Charme den ein Sport wie Fellrunning versprüht?

An der Startlinie stehend hatte ich keine weiteren Ambitionen, als das Beste zu geben was mir möglich war und mich an der neuen Erfahrung zu erfreuen. Dennoch bin ich im Nachhinein froh das meine Leistung solch ein Wirkung hatte.  Das Bewusstsein für Gleichberechtigung und die Rolle der Frau im Sport zu stärken, gleichzeitig auf die Akzeptanz des Stillens aufmerksam zu machen und den Fakt zu betonen dass Frauen sehr gut ihren eigenen Hobbys neben dem Muttersein ausleben können, sind schon Sachen die mir sehr am Herzen liegen. 

Was die Aufmerksamkeit des Sports im Allgemeinen betrifft, denke ich, dass man zwischen den beiden verschiedenen Sportarten Ultrarunning und Fellrunning unterscheiden muss. Ultralaufen war schon immer sichtbarer in der Öffentlichkeit und in den Medien, daher denke ich auch, dass eine gesteigerte Wahrnehmung durch meinen Spine Erfolg vollkommen ok ist. Gleichzeitig hoffe ich dass Fellrunning sich den ruhigen und unaufdringlichen Charme fernab von Medien und Sponsoring bewahren kann. 

(c) Howie Stern

Nach dem Spine Race warst du auf einmal die gefragteste Ultraläuferin der Welt und einem ungewohnt hohen Medienandrang ausgesetzt. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Die plötzliche Aufmerksamkeit war überwältigend. Ich mag es Leute zufriedenzustellen, deswegen ist es mir am Anfang schwer gefallen nein zu sagen bei der Masse von Anfragen die auf mich einprasselten. Nach einiger Zeit lernte ich zu priorisieren und jetzt nehme ich nur noch ausgewählte Anfragen an, zum Beispiel wenn sie einem wohltätigen Zweck nachkommen oder wenn ich wirklich Leidenschaft für das Thema verspüre. Gleichberechtigung von Frauen in und außerhalb des Sports oder das Thema Stillen gehören in jedem Fall dazu. 

Danke das wir dazugehören dürfen. Seit deinem Spine Race Erfolg war es ein wenig ruhig um dich. Sind da noch läuferische Herausforderungen für die Zukunft, die in deinem Kopf herumschwirren?

Ja das verbleibende 2019 war etwas ruhiger was das Laufen betrifft. Neben der Zeit mit meiner Tochter, war ich viel mit meiner Arbeit und meiner Dissertation beschäftigt. Aber ich denke, ich war auch etwas erschöpft- sowohl physisch, aber viel mehr noch emotional. Nach der vielen Aufmerksamkeit nach dem Rennen, war ich froh wieder zu einem ruhigeren Leben zurückkehren zu dürfen. Jetzt, Anfang 2020, freue ich mich schon darauf wieder durchstarten zu können, wenn wir die Covid-19 Problematik überwunden haben.   

Du sprichst es an. Es ist nicht ganz einfach über nebensächliche Dinge wie das Laufen zu sprechen, wenn gleichzeitig eine lebensbedrohliche und weltweite Krise vorherrscht. Schaust du dennoch optimistisch in die Zukunft?

Ja ich denke es ist wichtig Ziele zu haben und sich auf Dinge zu freuen, um mit Optimismus in die Zukunft schauen zu können. Im Moment ist es schwer zu sagen wie die Welt nach Corona aussehen wird, aber ich bin sicher es wird Veränderungen geben. Ich hoffe dass solch ein Wandel auch die ungleich größere und nachhaltigere Herausforderung unserer Zivilisation umfassen wird- den Klimawandel und die Art und Weise wie wir mit der Umwelt umgehen. Auf persönlicher Ebene möchte ich mehr lokale Rennen hier in UK laufen und vielleicht einmal im Jahr für einen längeren Zeitraum in den Alpen verbringen, um zu trainieren und Rennen zu laufen aber den Impact auf die Umwelt gering zu halten. 

Dieses Porträt erschien 2020 in der gedruckten Version des ULTRARUNNING Magazins!

von Benni Bublak

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