Lauffreundschaften – für ein ganzes Leben?

25. August 2023 •

Laufen, so heißt es, sei eine Individualsportart. Und wir genießen das ja auch oft, diese Sache, die so ganz und gar mit uns selbst auszumachen ist. Aber dann gibt es da doch einen Menschen, mit dem auch die ganz langen Dinger plötzlich so wunderbar kurzweilig sind. Oder die Leute, mit denen man nach dem Lauf noch einmal genauso lange auf dem Parkplatz quatsch. Kurzum: Hier geht es um Lauffreundschaften. Und um die guten Gründe, zusammen zu sein.

„Freundschaften sind eine von den zentralen Relaisstationen des sozialen Zusammenhalts"

Freundschaft ist potenziell grenzenlos, sagt der Philosoph Rüdiger Zill. Damit wären sie sogar dem allerlängsten Ultra überlegen. Aber mal Hand aufs Herz, wie würden ihr euch entscheiden, wenn ihr nun zwischen dem Laufen und den Freund*innen wählen müsstet? Eben. Aber glücklicherweise stellt sich diese Frage ja nicht. Vielmehr ist es doch umgekehrt so, dass viele erst über gute Freunde zum Laufen und dann zum Trailrunning gekommen sind. Oder dass sie umgekehrt dieser Sport zu Menschen geführt hat, die ihnen heute sehr wichtig sind. „Freundschaften“, so Rüdiger Zill weiter, „lassen intimste Nähe zu.“ Ohne Erotik allerdings. Das wiederum grenze die Freundschaft von der Liebe ab.
   Ja, das mit der intimsten Nähe wird jede*r bestätigen, der mit seine Lauffreund, mit seiner Lauffreundin etwa den als Zweier-Team zu absolvierenden Transalpin Run gefinisht hat. Das Zweifeln, das Hadern, das Reiben an den gegenseitigen Erwartungen. Die Krisen, die man gemeinsam, und mehr noch jede*r für sich, durchlebt. Und nein, um die Liebe wird es im Folgenden also nicht gehen. Wobei die auf den Trails eingegangenen Partnerschaften gewiss für sich mal eine Betrachtung wert wären. Jetzt aber reden wir über Lauffreundschaften. Über ihren Wert, ihr Wesen und über ihren Wandel in einer sich ändernden Welt.

Schrittlänge, Wellenlänge
Laufen ist eine Individualsportart. Damit fängt es schon mal an. Wir müssen keine elf Freund*innen sein. Allenfalls ein gleichschwingendes Duett, zumal vom Transalpine Run hier noch öfter die Rede sein wird. Eigentlich aber kommen wir beim Laufen erst einmal ganz gut mit uns selbst zurecht. Das Tolle am Laufen ist ja gerade, dass man dafür eigentlich nichts braucht: kein Team, keinen Trainer, keine Geräte, keinen Ort, kein Wetter, keine Mitgliedschaft. Und wir brauchen das vielleicht sogar, diese inneren Dialoge oder auch nur das Schweigen mit uns selbst. Immerhin haben 38 Prozent unserer Leser*innen doch gerade erst angegeben, dass sie ziemlich zufriedene Alleinläufer*innen seien. Ja vielleicht verlangt eine immer komplexer werdende Welt mit all ihren Anforderungen, die wir in zunehmendem Maße ja auch an uns selbst stellen, genau die Auswege. Laufen um des Laufens willen. Nichts anderes müssen, ob nun für fünf oder für fünfzig Kilometer.

Aber dann gibt es da doch diesen Menschen, mit dem oder der man während dieser Zeit noch viel wunderbarer schweigen oder eben reden kann.
   Bei mir war das einer dieser typisch miesen Läufe. Was als Tempodauerlauf begann, mündete zwischenzeitlich im trotzigen Spazierengehen. Und nur um die Stimmung, und den Trainingseffekt, noch ein wenig zu retten, hatte ich dann Intervalle draus gemacht. Und dabei einen überholt, dessen souveräner Laufstil mich schon hätte stutzig machen sollen. Der Kerl mit dem roten Bart blieb jedenfalls an mir dran, es schien ihm sichtlich leichtzufallen. Und irgendwann fragte er mich, was ich denn so vorhätte. Ich fühlte mich ertappt. Wirkte ich hier wie einer, der für einen 2:45er-Marathon trainiert? Ein Hochstapler also? Aber ich muss wohl doch wie einer gewirkt haben, der auch im beschleunigten Schritt noch passabel unterhaltsam parliert.
   Heute sind wir, möchte ich meinen, ziemlich gute Freunde. Wobei sich diese Freundschaft auf das gelegentlich Zuschicken von Zeitungsartikeln, den gelegentlichen Austausch von Gartengemüse und eben das Laufen beschränkt. Ein-, manchmal auch dreimal in der Woche. Wir traben die Hauptstraße, die tatsächlich so heißt, hinunter, biegen in das Wäldchen ein oder auf der anderen Seite in die Kleingartenkolonie, folgen dem Kanal oder den schmalen Pfaden in der Wuhlheide. Und haben, nach sechzig Minuten oder zweieinhalb Stunden, auch die Tagespolitik, den Zeitgeist und das Geschehen am Wegesrand für beide Beteiligten zufriedenstellend abgehakt.
   Ziemlich beste Freunde sozusagen. Wobei sich unsere Beziehung, und vermutlich liegt genau darin ja ihr Reiz, eben und vor allem auf das Laufen beschränkt.

Sportsfreund*innen
Ich möchte behaupten dieses Magazin ist geradezu prädestiniert, um über Lauffreund*innen, über Lauffreundschaften zu schreiben. Rund 50-mal bereits haben wir lokale Laufveranstaltungen begleitet, die immer dies gemeinsam hatten: Sie waren von Freund*innen organisiert. Als Freundschaftsdienste gewissermaßen. Mal als pragmatische Zweckgemeinschaft von welchen, die da eben ihr Hobby teilten und damit auch die gemeinsame Zeit. Mal von Typen, die uns derart symbiotisch begegnen sollten, dass es geradezu zwangsläufig erschien, dass ich Jörg Bremicker und Jörg Büscher von der Laufbrigade Oderberg im Bergischen Land auch noch den Vornamen teilten. Wäre auch undenkbar, dass der eine Matthias heißt und der andere vielleicht Holger. Und würde es so etwas wie ein Tandem für Läufer geben, die beiden hätten sich garantiert schon eins gekauft.
   Mindestens genauso beeindruckend aber, wie sich Menschen buchstäblich zusammenraufen, wenn es um diese eine gemeinsame Sache geht. Wie man Unterschiede und gewiss auch unterschiedliche Weltanschauungen hintenanstellen kann. Und ich rede jetzt nicht davon, sich zu verstellen. Ich rede davon, die anderen so zu nehmen, wie sie eben sind. Diese Welt ist, gerade in diesen Tagen, ohnehin zu voll von solchen, die immer nur unter ihresgleichen bleiben. Der allzu treffende Begriff der Blase hat ja gerade Konjunktur. Sport aber sei, so sagt es der Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba, „einer der zentralen Orte unserer Gesellschaft, an dem Vorurteile revidiert und Perspektiven geweitet werden können“.

„Die Leute haben an Freundschaften durchaus auch eine berechnende Herangehensweise“, sagt derweil der Berliner Psychologe Jaap Denissen. Läufer*innen befreunden sich eben mit Läufer*innen, weil sie daraus einen ganz pragmatischen Nutzen ziehen. Weil die eigene Sache, das Laufen also, dadurch lustvoller, erfolgreicher oder auch nur einfacher wird. Denissen ist da ganz und gar Evolutionstheoretiker: „Guckt man sich die Menschheitsgeschichte an ist es plausibel anzunehmen, dass Freundschaften auch ein Mittel sind, um uns gegenseitig in schwierigen Situationen zu helfen.“
Nun, einerseits. Aber andererseits unterscheidet sich die Freundschaft eben von einem Geschäftsverhältnis, weil in einer Freundschaft nichts auf- und schon gar nicht gegengerechnet wird.
   So richtig begriffen habe ich das, als ich vor knapp drei Jahren, als ich die Trail Crew in Osnabrück besucht hatte. Eine Truppe junger bis mittelalter Läufer*innen und vor allem Läufer, die etwa schon beim Transalpine Run gestartet waren. Mit sieben Teams. Sieben mal zwei Trailrunner*innen aus einem Bundesland, das die Verweigerung der Vertikalen bereits im Namen trägt. Niedersachsen. Diese Trail Crew jedenfalls war, was man so landläufig einen bunten Haufen nennt. Mit lauten und leisen Charakteren. Mit solchen, die in den linken Milieus der Universität sozialisiert waren. Andere eher im Reit- und im Schützenverein. Unternehmertypen und Angestellte. Vereinsmeier und Freigeister.
Aber: Sie haben zusammen harmoniert. Sie waren miteinander herzlich. Und gab es mal einen Witz auf die Kosten eines anderen, dann war der zumindest gut. Geht ja auch nicht darum, sich mit Samthandschuhen anzufassen. Sondern schon auch um das Wechselspiel von Reibung und Wärme. Wobei Reibung, physikalisch betrachtet, ja eben auch wieder Wärme ist. Zusammenraufen, auch das macht ja eine Clique aus.
   „Freundschaften sind eine von den zentralen Relaisstationen des sozialen Zusammenhalts“, sagt in diesem Sinne der Soziologe Heinz Bude und sieht in Freundschaftsbeziehungen sogar eine Rettung der alternden Gesellschaft jenseits von Familie und Sozialstaat. Mediziner finden gar Belege dafür, dass soziale Beziehungen uns vor Krankheiten schützen und unser Leben verlängern können, manche fordern sogar schon Freund*innen auf Rezept. Lauffreund*innen auf Rezept wären in diesem Sinne doppelt wirksam.

Das Laufen der anderen
Wir haben es ja schon davon gehabt: Wer miteinander läuft, muss immer auch in den oder die andere hineinhorchen. Gemeinsames Laufen braucht immer mindestens eine*n, der auf den anderen achtet. Nein, eigentlich braucht es davon zwei. Weshalb das Laufen in der Gemeinschaft auch per se nicht nur der Gemeinschaft dient, sondern immer auch einem selbst. So gab es schon in den 1970er-Jahren Studien, die auch für den Laufsport das leistungssteigernde Potenzial von Trainingsgruppen attestiert hatten. Ging man zunächst allerdings davon aus, dass es dabei auch eine permanente Konkurrenzsituation sei, welche die Athlet*innen immer wieder anstacheln würde, weiß man inzwischen, dass es doch auch das genaue Gegenteil ist. Geteiltes Leid, geteilte Freude, sowieso geteilte Erfahrungen – das alles motiviert.
   Die intimste und auch im Wortsinne grenzwertigste Erfahrung einer Lauffreundschaft, wir hatten es schon davon, ist vermutlich das gemeinsam bestrittene, besser: durchlittene Rennen. Die sprichwörtlichen Hosen runterlassen. Und das vor eine*r, die/der es nicht krumm nimmt, wenn der Hungerast oder die Wadenkrämpfe das über Monate herbeigefieberte Saisonziel ruinieren. Aber waren diese Monate des gemeinsamen Trainings nicht eh schon das Saisonziel? Machen wir uns nichts vor, es braucht viel, um auf diese gemeinsame Reise zu gehen. Und manchmal braucht es nur wenig, um sich so richtig auf die Nerven zu gehen. Aber: Freundschaften halten das aus. Wenngleich eine Bekannte aus der Coachingbranche schon einmal diese nur halb ironische Geschäftsidee geäußert hatte: Paartherapie für Lauffreund*innen.
Analog ist besser?
Und auch darüber müssen wir noch flink reden: über die sozialen Medien und dieses Gerücht, dass dort Freundschaften doch allzu schnell behauptet werden würden. Facebook beispielsweise kennt viele Läufer*innen. Und Facebook sagt dann, diese seien miteinander befreundet. Aber ist das alles nicht nur ein Anklicken und Wegwischen?
Da widerspricht Jaap Denissen energisch. Mittlerweile, so der Psychologe, sei es Konsens in der Forschung, „dass sich technische Innovationen wie Facebook oder Instagram eher positiv auf Freundschaften auswirken“. Sie helfen uns nicht nur, Kontakt zu halten. Durch sie finden wir auch zu spezifischen Ausdrucksformen, die wiederum in unsere Freundschaften investieren.
   Entscheidend aber ist es auf dem Trail. Entscheidend sind die langen Läufe, auf denen man sich nichts sagt und trotzdem alles erzählt. Oder die beschleunigten Runden, auf denen man aus dem Plaudern gar nicht mehr rausgekommen ist. Und, hey, kam dieses Seitenstechen jetzt vom Rennen oder doch eher vom Lachen? Das beste Lauftempo, so weiß es jeder Laufratgeber genau, sei eines, bei dem man sich noch unterhalten könne. Und mal ehrlich: Wie soll man das denn ohne Lauffreun*innen kontrollieren?








von Clemens Niedenthal

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