Ida Sophie Hegemann– Trailrunning-Star?

5. Dezember 2022 •

Ida ist das junge Gesicht eines an Popularität gewinnenden Sports. Wir wollten wissen, wer die Norddeutsche mit den vielen Followern wirklich ist und haben sie in ihrer Wahlheimat Innsbruck besucht.
Trailrunning kennt keine Stars. Zumindest nahm ich das bis vor kurzem noch an. Wir haben in der Vergangenheit einige Elite-Trailrunner:innen porträtiert. Ein intimes Unterfangen: Ein Besuch daheim, meist ein gemeinsamer Lauf, begleitet von einem langen Gespräch. Am Ende aber haben wir immer ein ganz gutes Bild davon, wer dieser Athlet, diese Athletin….nein, wer dieser Mensch ist. Anders wäre so ein Porträt auch nicht möglich. Denn abgesehen von ihrem Auftritt in diesem kleinen Fachmagazin, hielt sich die mediale Präsenz von Top-Trailrunnern, die beispielsweise den TAR oder den ZUT gewonnen hatten, bisher eher in Grenzen.
 
September 2022. Ich fahre nach Innsbruck. Dort wohnt Ida Sophie Hegemann. Über mangelnde mediale Präsenz kann sie sich kaum beschweren. Ich hätte etliche Podcasts konsumieren können, um mich auf dieses Gespräch vorzubereiten. Oder Texte in Lauf-Zeitschriften, die seit neuestem prall gefüllt sind mit Trailrunning. Überall hätte ich viel über die junge North Face Athletin aus Duderstadt erfahren. Ich habe es aber lieber gelassen. Und so schlage ich vergleichsweise unvoreingenommen bei Ida auf. Direkt an der Nordkette und trotzdem nur wenige 100 Meter vom Uni-Campus entfernt, wohnt Ida perfekt, um die zwei großen Pole ihres derzeitigen Lebens perfekt zu vereinen. Denn wer von außen den Eindruck hegte, Ida sei Vollzeit-Trailrunnerin, die ihren Tag nur mit Training, Massage und Fotoshootings füllt, der irrt gewaltig. „Mein Leben in den letzten zwei Jahren bestand eigentlich nur aus Training, studieren, essen und schlafen.“ Berichtet die Architektur Studentin, die kürzlich ihren Bachelor in Rekord-verdächtigen zwei Jahren durchzog.
(c) The North Face
Doch von vorn: Ida und ich laufen los. Es geht gleich steil eine Asphaltstraße hinauf. Nordkette eben. „Ich bin sehr behütet aufgewachsen“ berichtet mir die 23-Jahre junge Läuferin. Im Eichsfeld, der wohl katholischsten Region Deutschlands, verbringt sie als älteste von fünf Geschwistern und Tochter eines Kriminalhauptkommissars ihre Kindheit. Natürlich ist sie Messdienerin, verbringt aber schon in frühen Jahren viel Zeit mit Sport: Tennis, Fußball…Doch dass da ein großes Lauftalent in dem jungen Mädchen schlummert, bemerkt bald nicht nur sie selbst. Schnell aber ist die Trainingsbegleitung im heimischen Leichtathletik Verein zu langsam. Mit erst 14 Jahren bekommt Ida die Chance nach Hannover ins Internat zu ziehen und in einem DLV Förderstützpunkt zu trainieren. „Meine Eltern waren dagegen, aber ich wollte das unbedingt.“ Zu Beginn läuft alles super. Ida kämpft zwar mit den kurzen Distanzen und den schnellen Trainingspartnerinnen, macht aber dennoch schnell Fortschritte. Doch irgendwann kommen die Verletzungen. Mit mehreren Ermüdungsbrüchen und einer langwierigen Erkrankung mit Pfeiferschen-Drüsenfieber muss Ida schon in jungen Jahren umgehen lernen. „Ich bin teilweise so viele Kilometer beim Aquajoggen gewesen, wie andere in einer normalen Trainingswoche laufen.“ Auch sonst unterschied sich ihr Leben fundamental von dem anderer Heranwachsender: „Das war schon alles sehr streng reguliert. Ich habe nie Alkohol getrunken, bin nie ausgegangen. Das gab es einfach nicht. Auch der Leistungsdruck ist enorm gewesen. Genauso wie das dadurch bedingte Konkurrenzdenken untereinander. Wenn du mich heute fragst, bin ich kein großer Freund dieser Kaderstrukturen mehr“, berichtet sie uns.Während dieser schwierigen Verletzungsphase entscheidet Ida mit dem Leistungssport aufzuhören. Aber nicht sofort. Denn schließlich ist ihr Abiturplatz mit der Sportförderstelle verknüpft. So trainiert Ida erstmal weiter. Erst im Pool, später wieder auf Bahn und Straße. Um sich dem Stress des Bahnlaufens zu entziehen („Wenn ich diese 5000 Meter gelaufen bin, wusste ich schon nach der ersten Runde meine Endzeit“) meldet sie sich bei einem heimischen Berglauf an und gewinnt sofort. Ein Gore Mitarbeiter spricht sie an, dass sie beim Transalpine Run noch talentierte Gastläufer suchten. Ida ist dabei und soll mit einer weiteren Nachwuchsläuferin erste Trailrunning Luft bei der bekannten Alpenüberquerung schnuppern. Als diese verletzt passen muss, springt kurzfristig kein Geringerer als Philipp Reiter ein. Und so steht sie am Ende ihres ersten richtigen Trailwettkampfs vor dem Angebot für das Salomon Trailteam zu laufen. „Von da an, war es eigentlich um mich geschehen“ schließt die sympathische Läuferin ihre Erzählung.
 
 
„Ich war eigentlich schon immer Langstrecklerin. Schon damals haben mir die langen Dauerläufe immer am meisten Spaß gemacht.“ Sagt die inzwischen zur Ultraläuferin herangewachsene Ida außerdem. Eigentlich sollten die 60 Kilometer beim Istrien100 Anfang des Jahres ihr erster Ultra werden. Nach einem unglücklichen Sturz muss sie das Rennen beenden und entscheidet sich ein paar Wochen später in ihrer neuen Wahl-Heimat, beim Innsbruck Alpine zu starten. Sie weiß, dass ihre Entscheidung gleich die 110 Kilometer lange Hauptdistanz anzugreifen nicht überall auf Begeisterung stoßen wird: „Ich habe sofort meine Mama angerufen und ihr gesagt, dass sie Papa bitte möglichst schonend beibringen soll, dass ich bald 100 Kilometer laufe.“ Doch die langen Dinger scheinen der 25 Jahre jungen Läuferin wirklich zu liegen. Trotz einiger Magenprobleme siegt sie in phänomenalen 12 Stunden und 40 Minuten. Sie komplettiert damit eine große Reihe an Erfolgen in ihrer noch jungen Trailrunning Karriere. Darunter Siege beim ZUT 2018, beim Transalpine Run 2019 sowie beim Marathon du Mt. Blanc (U23). Schade, dass sie diese nicht auch noch mit einem starken Finish beim größten Event dieses Sports ergänzen konnte. Beim diesjährigen CCC in Chamonix läuft Ida im Anstieg hinter einem männlichen Mitläufer. Dieser entscheidet sich aufgrund des einsetzenden Regens seine Jacke anzuziehen. Die folgende ungelenke Bewegung, resultiert darin, dass Ida zwei spitze Stockenden in ihrer Nase wiederfindet. Ida versucht es noch einige Zeit, muss aber irgendwann einsehen, dass es mit einer nicht zu stoppenden Nasenblutung keinen Sinn mehr macht. Ein DNF das weh tut. „Aber vielleicht sollte es so sein.“ fügt die North Face Athletin gleich hinzu. Denn schließlich wird sie kurz darauf gefragt, ob sie beim Transalpine Run kurzfristig für den verletzten Florian Reichert einspringen will. Zusammen mit Partner Sebastian Hallmann gewinnt sie eine Woche später das zweite mal die große Alpenüberquerung. Ein Happy End.
Ihren Trainingsalltag gestaltet Ida möglichst flexibel und derzeitig als Autodidaktin. Die junge Athletin hatte schon mehrere Trainer. Anfang des Jahres arbeitete sie mit Berglauf-Koordinator und Athleten Manager des Berglauf-Nationalteams Kurt König zusammen. Bei einer Leistungsdiagnostik von Ida anwesend, bietet er ihr, begeistert ob ihres Talents, eine Zusammenarbeit an. Ida lernt in der Folgezeit viel und spricht nur in besten Tönen vom Fachwissen ihres Trainers. Inzwischen hat sie ihr Training allerdings wieder allein übernommen. Auch weil sie ihren eigenen Kopf hat, sich nicht reinreden lässt. Ja vielleicht stimmt es, dass sie viel Potential über die kürzeren Distanzen hätte. Aber vom Kopf her gefallen ihr die langen Distanzen einfach deutlich besser: „Ich liebe die Abwechslung, die das lange Laufen mit sich bringt. Man kann sich nie darauf einstellen, was als nächstes vom Körper gefordert wird. Downhill, Flach, Bergauf…Bei den kurzen Distanzen, und gerade beim Berglauf hat man das nicht in dem Maße. Da ist das Konkurrenzdenken auch noch ausgeprägter, vor welchem ich ja vor einiger Zeit zum Trailrunning geflohen bin.“ Ida schließt aber nicht aus in Zukunft wieder mit einem Trainer zu arbeiten.
 
Es ist nicht so, dass Ida es drauf angelegt hätte, aber allein im letzten Jahr hat sie ihre Followerzahl bei Instagram fast verzwanzigfacht. Mit über 70.000 hat sie inzwischen mehr Follower als beispielsweise Katie Schide, UTMB Siegerin, Team Kollegin und großes Vorbild von Ida. „Das war mir teilweise selber etwas unheimlich. Mein Freund hat immer Videos beim Laufen von mir gemacht, die ich dann als Reels bei Instagram hochgeladen habe. Das hat enorme Resonanz erzeugt. Irgendwann war mein Freund dann aufgeregter als ich und ich hab ihm gesagt: Hey ich will, dass du mich auch mal einfach so beim Laufen begleitest. Ohne dass du mich filmst.“ So schön die gewonnene Popularität auch ist, bringt sie auch Schattenseiten mit sich: „Am Anfang haben mich die ganzen Nachrichten schon fertig gemacht. Ich musste lernen, nicht alles an mich heran zu lassen. Inzwischen bin ich nur noch eine halbe Stunde am Morgen und eine Halbe am Abend auf Instagram.“ Aber manchmal kommt es dann auch im realen Leben zu sehr merkwürdigen Szenen, wo auch wir als Magazin sagen, das ist neu in diesem Sport: „Beim Transalpine Run gibt es schon Herren, die meinen mit der laufenden Kamera an mir vorbei rennen zu müssen und zu verlauten: Ach einmal vor dir laufen, das war schon immer mein Traum.“

 

Ida’s Träume sind da von ganz anderer Qualität. Im Juni nächsten Jahres finden die offiziellen Trailrunning-Weltmeisterschaften in ihrer Heimatstadt Innsbruck statt. Natürlich will sie da unbedingt dabei sein. Über die schwere Langdistanz versteht sich. Ida ist schon jetzt das Gesicht dieser Weltmeisterschaft, ist im offiziellen Teaser und auf allen Promotion-Bildern zu sehen. Ob sie für die WM nominiert wird, ist dennoch ungewiss, berichtet sie etwas besorgt. Am Ende bleibt ihr nur das zu tun, was sie bisher auch getan hat: Sportlich zu überzeugen und zu beweisen, dass kein Weg an ihr vorbei führt. Dann wird er auch in Erfüllung gehen, der große Traum vom WM-Finish vor der Hautür. Ganz sicher wieder dabei, wäre ihr größter Rückhalt und größte Motivationsquelle: Ihre Familie. Was für Emotionen! Die Resonanz im Social Media wäre phänomenal. Ida einmal mehr ein echter Trailrunning Star. Wir könnten uns wohl daran gewöhnen. Für die 25-jährige selbst wäre dies aber nicht von großer Relevanz. Schließlich ist es vor allem eines, was Ida am Trailrunning besonders liebt: „Diese Community. Ich habe im Rennen schon öfters erlebt, dass Mitläufer ihr eigenes Ergebnis hinten an stellten, um andere Läufer:innen zu supporten. Das war eine neue, großartige Erfahrung für mich.“ Wer Star ist oder nicht, ist in diesen Momenten dann komplett egal.  

Dieses Porträt erschien Ende des Jahres 2022 in der gedruckten Version des TRAIL Magazins!

von Benni Bublak

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