Community-Trails: Gespür für alle!

6. November 2023 •

Über zwei Jahre war das mit dem Laufen in der großen Gruppe irgendwie nicht so richtig drin. Umso größer die Vorfreude auf das Revival unserer REVIERGUIDES. 3 Teilnehmer berichten uns, warum so ein Community-Run mit anderen für sie so besonders ist.

Hallo, wir sind zurück. Nach über vier Jahren, nach mehr als zwei Jahren Pandemie-Gedöns und der Entscheidung, dass das Laufen in einer großen Gruppe, ungezwungen und ohne Wettkampf-Stress, eine, wenn nicht DIE Sache für uns überhaupt ist. Kurzum: Der Revierguide ist wieder da.

Wir blicken zurück. Zweimal war ein Revierguide-Treffen by Trail Magazin bereits in Köln-Bonn, genauer gesagt, auf Trails im Siebengebirge. Einmal vor fünf Jahren und einmal vor rund sieben Jahren. Beide Male waren das, vor allem in der Retrospektive, irrsinnige Lauftreffs. Irrsinnig deshalb, weil unserer Einladung damals 200 oder gar 300 Leute folgten. Wir brachten die Wanderparkplätze an den Rande der Überfüllung, wir teilten die Teilnehmer:innen in zig verschiedene Gruppen ein und fast 15 lokale Guides führten durch ihre Hausstrecken und über ihre Lieblingstrails.
Das waren Wochenenden, die sich bis heute tief in mein Gedächtnis brannten, es entstanden Freundschaften, die bis in die Gegenwart wirken. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass unser Sport durch eben jene Revierguide-Events ein Gesicht, eine Struktur, eine Szene bekam. Vieles davon ist heute noch sichtbar. Man behauptet, es gäbe Revierguide-Ehen, Revierguide-Scheidungen und sogar Kinder. Glückliche Kinder.
Eigentlich dachten wir, dass wir genug in Gruppen gelaufen wären, dass wir als Magazin unseren Dienst an der Szene getan hätten, dass die, die zusammengehören längst vereint sind. Dann kam Corona, und damit das mit den Abständen. Man sollte alleine laufen, durfte maximal zu zweit oder zu dritt laufen, dann wieder alleine und zwischendurch sehr verkrampft in kleiner Zahl. So richtig Freude kam da nicht auf. Faust auf Faust zur Begrüßung und möglichst wenig Atem der anderen abbekommen.
Dieses Aprilwochenende im Siebengebirge sollte anders werden. Es sollte so etwas wie ein Neuanfang sein. Endlich wieder unbegrenzt und etwas näher und enger und verbindlicher.
Auf der langen Fahrt in die 7 Hills, hatte ich viel Raum darüber nachzudenken, wieso mir dieses Revival des Revierguides, dieser Communityrun im allgemeinen plötzlich wieder so wichtig ist. Wieso bin ich komplett voller Vorfreude mit 50, 60 oder 100 Leuten zu laufen? Man sagt doch, dass Trailrunning seine Qualitäten hätte, wenn man mit sich, dem Berg, dem Atem, dem Trail, Flora, Fauna allein ist.
Ich will Menschen sehen. Menschen wollen Menschen sehen. So ist das eben. Man kann dieses Verlangen unterdrücken, man kann es für eine definierte Dauer unterbinden, aber es bleibt. Der Text könnte vermutlich hier enden.
Siebengebirge also noch einmal und wieder. An diesem Samstag, der uns bei viel Sonne den Frühling vortäuscht und in Wirklichkeit bitterkalt ist. Alte Bekannte rollen an – im Auto, im E-Mobil, in Fahrgemeinschaften, auf Gravelbikes. Da umarmen sich welche innig, andere bevorzugen die Faust, andere den traditionellen Handschlag. Eines ist allen klar – das hier ist ein Neubeginn und für die allermeisten der erste große „Lauftreff“ seit über zwei Jahren.
Es sind auch welche hier, die vor sieben Jahren bereits unter diesen 250 waren, die so etwas wie „Trail-History“ erlebten und gestalteten.
Hach. Seufz. Der Ort Königswinter ist für dieses Wochenende unser Start- und Zielort. Nur unweit von Bonn entfernt liegt dieses Städtchen fast kitschig vor Romantik inmitten dieser insgesamt sieben rechtsrheinischen Hügel, die sich mit dem großen Ölberg auf maximal 460 Meter Höhe erheben. Für die lokalen Trailrunner ist diese Region das perfekte Gebiet, um sich in Form zu bringen. Dass ein Redakteur, der in den Alpen lebt auch in den 7 Hills an seine Klettergrenzen gelangt, ist kein Mythos. Dazu später etwas mehr.

Im Grunde ist auch dieses Revival so wie es „früher“ einmal war. Da sind eine Handvoll dieser ambitionierten Typen, die beim Laufen in der schnellen Gruppe, auf der langen Distanz darüber berichten, wie es sich so auf dem Podium anfühlt, wie das mit dem UTMB-Start ist und was der Trainingsplan so spricht. In der Breite folgen dann die Genußläufer:innen, die hier genug Zeit haben zu plaudern, weil die Laufpausen ausgeprägter sind.
Diesmal sind keine 250 hier dabei und das hat wohl erstaunlich wenig damit zu tun, dass unser Sport oder die Community kleiner geworden wäre – im Gegenteil – nein, es ist die enorme Entwicklung im Trailsport, die dafür sorgt, dass an diesem Samstag und Sonntag 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch den frischen Ostwind rennen und sichtlich froh sind, sich gegenseitig wieder zu haben. Wir fragen uns freilich schon, wieso damals bei diesen frühen Revierguides gut doppelt und dreifach so viele Leute am Start waren? Es gibt wohl viele verschiedene Antworten. Zum einen mag Corona an diesem Aprilwochenende noch immer dafür sorgen, dass viele krank zu Hause sind, noch nicht wieder lauf-fit sind oder in einem Trainingszustand, in dem man lieber ganz alleine, nur für sich etwas trabt und ungern von anderen „getrieben“ wird. Mehr als verständlich. In so einer Gruppe ist man schnell verleitet, über eben jene Grenzen zu gehen, die sonst eher weiter entfernt liegen.
Noch eine Antwort die Sinn macht ist wohl die Tatsache, dass im April 2022 mehr Trailrunner als früher in einer direkten Wettkampfvorbereitung stecken, an einem Wettkampf teilnehmen, oder eben selbst bei einem ganz anderen Communitytreffen durch ein ganz anderes Revier rennen – nicht mit einem anderen Trailrunning-Magazin, aber privat, mit Freunden, dem Club, dem Verein. Es hat sich viel getan in den letzten sieben Jahren.
Wir laufen los. Einige wenige Meter durch den Ort, unter den Gleisen, über den Parkplatz der Bundesbahn und direkt, sehr direkt in einen armbreiten Trail. Die Gruppe zieht sich wie eine Perlenschnur, es geht steil nach oben, die Gespräche verwandeln sich in lautes Atmen. Jede:r ist bei sich und doch alle unfassbar zusammen. Die Guides koordinieren: wer läuft welche Distanz, wer welche Tempogruppe? Carsten, Sebastian, Thomas, Zwiebel, Markus, Rudi und Lars behalten den Überblick, kennen so ziemlich jeden Meter in diesem Mittelgebirge. Und Matt? Matt wird an diesen beiden Tagen mit einer beeindruckenden Ruhe den Exklusiv-Guide spielen, so sehr selbstlos und für alle jene da, die Speed für das ganz bewusste Laufen eingetauscht haben.

Über den Lauf an diesem Samstag könnte man Unmengen an kleinen Geschichten erzählen. Beispielsweise, dass wir genau dort liefen, wo einst Bill Clinton bewacht von Bodyguards und verzückt von Monica Lewinsky, joggte. Bonn eben. Dort war ja einst die Weltpolitik, bevor sie nach Berlin wanderte. Ich stelle mir jedenfalls sehr ausgeschmückt vor, wie dort zu Bundesrepublik-Zeiten Diplomaten mit dicken Bluthochdruck-Köpfen und ihren Königspudeln umherjoggten, pausierten und mit den ersten Mobiltelefonen dubiose Geschäfte vereinbarten. Sie beendeten die Telefonate mit Sätzen wie „Okay, okay, dann haben wir uns ja verstanden!“, legten auf und joggten weiter.
Nach drei ziemlich spaßigen Stunden, die so verspielt, vertrackt und komplex durch das im Oligozän entstandene Gebirge führen und für alle Nicht-Lokals kaum nachvollziehbar sind, geben wir die Testschuhe zurück, rubbeln uns trocken und folgen dem Kaffee-Duft in dieses nette Café am Bahnhof.
Dort fährt der Puls nach unten, der Zuckergehalt nach oben und wir lauschen den beiden Vorträgen – Laura und Carsten kennen sich nämlich nicht nur im Siebengebirge aus, sondern wissen uns auch von Trail-Urlauben auf Island und den Färöer Inseln zu berichten. Die beiden sind als Ehepaar übrigens so etwas wie eine Revierguide-Romanze. Ziemlich viel, was bei den Beiden heute Familie, Liebe und Leben ist, hat den Ursprung bei einem unserer Community-Runs.

 

Matthias Vergers-Geisinger, Brühl
Was so eine Veranstaltung wie diesen Revierguide einzigartig macht: Man hat ein kleines Abenteuer vor der eigenen Haustür, das nicht viel kostet. Ein schönes Mikroabenteuer, bei dem alle mitmachen können und zu dem jede:r herzlich eingeladen ist. Man lernt Leute kennen, man lernt Regionen kennen, man sammelt Erlebnisse, von denen man lange zehrt. Als Guide kann ich aus eigener Erfahrung und voller Überzeugzung sagen: Anderen ein solches Erlebnis zu ermöglichen ist noch einmal viel schöner und beglückender als nur mitzulaufen und dabei zu sein. Solltet Ihr alle mal bei Euch Zuhause ausprobieren.

Tina Ratke, Bonn
Ich bin schon häufiger im Siebengebirge unterwegs gewesen, schließlich sind das ja meine Hausberge, meistens allerdings alleine. Deshalb fand ich es total cool, heute mit so vielen Anderen gemeinsam zu laufen. Mit Leuten beispielsweise, denen ich bereits auf Strava folge und die ich nun endlich mal leibhaftig gesehen habe. Wobei ich bei Strava gar nicht darauf achte, wie schnell jemand ist, wie viele Kilometer er oder sie runterspult und was für ein krasser Athlet eine:r ist. Ich schaue mir die Bilder und Profile der Strecken an und denke, dass ich genau diese Runde auch gerne laufen würde. Wenn jemand so richtig Bock auf die Berge zu haben scheint, dann bleibe ich hängen. Und wenn sich dann wie heute eine angenehm entspannte Möglichkeit zum Kennenlernen ergibt, ist das richtig klasse. Gerade weil dieser Revierguide ein Format zu sein scheint, bei dem sich niemand in den Vordergrund spielen muss.

Es ist Sonntagvormittag. Der Himmel ist sehr blau, die Sonne hat freie Fahrt und doch will es auch heute nicht warm werden. Wer würde sich beschweren, wenn es trocken ist, wenn Punkt 10 Uhr 70 Leute darauf warten, gemeinsam durch den Wald zu rennen. Die einen haben Hitze, die anderen frieren an den Fingerkuppen. Da stehen welche in hauchdünnen Splitshorts und andere in fleecegefütterten Tights. Ganz viele gute Leute, ganz unterschiedlicher Couleur.
Ob es eine gute Idee ist, heute mit den Schnellen auf die lange 26 Kilometer-Runde zu gehen? Für die ersten 15 Kilometer ist meine Idee ganz gut. Nahezu perfekt. Dann ist sie für 5 Kilometer zumindest bedenkenswert und ab Kilometer 20 eine ganz und gar schlechte Idee. Am letzten langen Anstieg, der für mich als Alpenbewohner eigentlich ein Klacks sein sollte, leide ich. Die Gruppe der Schnellen – es sind so 8 oder 9 – verschwinden aus meinem Sichtfeld. Am „Gipfel“ warten Sie entspannt, beäugen mich mitleidig und rennen weiter. Im letzten Downhill hinab nach Königswinter, hinab zur Torte und zum Kaffee haue ich alles raus was in mir ist.
So ein Revierguide kann eben doch auch ein Wettkampf sein. Er kann ein entspannter, sehr sozialer Gruppenlauf sein und in einem Moment ein gnadenloser Kampf mit sich selbst.
Für mich endet das Wochenende in vollster Zufriedenheit in Sarahs´Cafe. Mit den Leuten, die ich so vermisst habe, mit dem Gefühl vollkommen zerstört zu sein und doch alles richtig gemacht zu haben.
Taunus. Im September. Da machen wir weiter.

Anke Dargel, Bochum
Was mir gleich aufgefallen ist: Die Guides hier im Siebengebirge sind alles Männer – wenn auch echt nette Jungs zugegeben. Da hat Trailrunning noch Nachholbedarf. Ich denke da etwa an bestimmte Gravelbike-Events, bei denen die Anmeldung bewusst in den ersten Tagen nur für Frauen freigeschaltet ist. Das motiviert und sorgt für eine Niederschwelligkeit, die es braucht, damit dieser Sport weiblicher und überhaupt diverser wird. Was ich damit genauso sage: Hiermit bewerbe ich mich unbedingt auch mal als Guide und zwar bei mir im Ruhrgebiet. Grundsätzlich glaube ich nämlich an die positive Wirkung von Gruppenprozessen, wie sie bei so einem Lauf entstehen. Hat man ja heute an der Stimmung gemerkt.

von Clemens Niedenthal

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