Ein Baumwollshirt, scheinbar von Motten zerfressen, auf dem Rücken der verwaschene Print eines kalifornischen Sonnenuntergangs. Ein mehr als nur transparentes, schwarzes Singlet, Assoziationen mit Rave-Kultur und Fetisch-Mode sind durchaus gewollt. Bucketheads, englisch für Anglerhüte, mit der Aufschrift Ciele, französisch für Himmel. So, und auch ganz anders, sehen coole Laufoutfits heute aus.
Sie kommen von Satisfy aus Paris, dem jungen Label Running Order aus New York oder dem längst etablierten Laufkappen-Revolutionär Ciele. Sie kommen von Nicholas und Willamina Martire, denen es tatsächlich gelang, in Montreal, Kanada, die unabhängige Trailschuhmarke Norda zu etablieren. Oder von 4T2 (sprich: Fourtytwo) aus den Niederlanden, deren Schuhmodell mit dem emblematischen Namen „Get Lost“ unter anderem dadurch auffällt, dass Mittelsohle, Außensohle und der Oberschuh einzeln getauscht und der Schuh somit repariert werden kann.
Authentizität und Avantgarde
Was all diese Marken gemeinsam haben: Sie wurden von Menschen gegründet, die aus dem Sport kommen und denen es erst einmal um diese Leidenschaft ging – und erst im Nachgang, um ein Geschäftsmodell. Von Menschen, die Running und Trailrunning leben und lieben, und denen es auch deshalb gelingt, authentisch zu bleiben und dabei auch authentisch erfolgreich zu sein. So zumindest im Falle von Satisfy oder Ciele, zwei Unternehmen, die tatsächlich sehr erfolgreich sind. Globale Brands, die sich aus der Szene heraus entwickelt haben, das ist neu im Trailrunning. Und galt in Zeiten einer globalisierten Warenwirtschaft und eines nicht minder globalen Sports eigentlich als unmöglich.
Als Vorlage für all diese Boutique-Running-Brands mag die Surf- und Skatekultur der 1970er- und 1980er-Jahre dienen. Plötzlich gab es lauter kleine Labels, die Boards, Shirts oder Kapuzenpullis produzierten (oder produzieren ließen). Die Fabrik von Vans beispielsweise stand lange Jahre in Kalifornien fast direkt am Strand. Man konnte morgens vorbeigehen, sich die Farben aussuchen und hatte abends sein paar knöchelhohe Skateschuhe in den Händen. Sind das nicht genau die relokalisierten Produktionsabläufe, von denen die Industrie heute wieder lauthals träumt? Und die sie, von wegen 3D-Drucker, noch immer nicht hinbekommt.
Aber einmal zur Begriffsklärung: Warum reden wir hier bei diesen Brands von Boutique-Running? Tatsächlich kommt dieser Begriff aus der Sprache der Mode. In den 1970er-, spätestens 1980er-Jahren etablierte sich die Rede von der Boutique-Fashion für jene Marken und Designer:innen, deren Produkte eben in kleinen, unabhängigen Boutiquen verkauft wurden. Im Gegensatz zu großen Couture-Häusern und vor allem dem uniformen Angebot der Versandkataloge und Kaufhausketten. Die Rede vom Boutique-Running passt aber auch aus einem weiteren Grund gut: Sie betont das Einkaufserlebnis, also den Ort und die Erfahrung des Konsums. Das nämlich eint alle in diesem Text referierten Marken: Sie wissen um die Atmosphäre, die es braucht, um ein cooles, distinguiertes Produkt auf diesem bereits üppig bestückten Markt des (Trail-)Runnings zu platzieren.
Distinktion und Distribution
Schauen wir uns dafür exemplarisch einmal die Distributionsphilosophie von Satisfy an, gegründet 2015 in Paris an und gegenwärtig sicher die erfolgreichste Boutique-Running-Brand. Markenchef Daniel Groh spricht von einem „Vier-Säulen-Modell“, wobei die einzelnen Säulen eben dies gemeinsam haben: Sie bilden, jeweils in ihrem Segment, ein möglichst exklusives und identitätsstiftendes Konsumerlebnis, seien es nun extrem spezialisierte Running-Läden wie Distance in Paris oder Up There Athletics in Montreal, hippe, urbane Concept Stores wie der Berliner Voo Store oder breit aufgestellte Premium-Retailer wie MR Porter oder das deutsche (Online-)Modehaus Breuninger.
Die vierte Säule sind der eigene Onlineauftritt von Satisfy – ein mit eigenen Erzählungen im Magazinformat gefütterter Webshop – sowie die eventbasierten Pop-up-Stores der Marke, etwa zum Berlin Marathon und in diesem Jahr erstmalig auch während des Ultra-Trail du Mont-Blanc.
In Chamonix wird Satisfy dabei eine Woche lang einen lokalen Second-Hand-Store übernehmen und nicht nur die eigenen Produkte, darunter eine limitierte UTMB-Kollektion, an die Kleiderstangen hängen. Auch das übrige Sortiment an Vintage-Teilen wird von Satisfy kuratiert. Eine ziemlich coole Sache also – und genau so soll das auch verstanden werden. So wie im vergangenen Jahr beim Black Canyon Ultra in Arizona, wo die Pariser Marke eine ganze Countryband in die von ihr gesponsorte Feed Zone, eine Verpflegungsstation, gestellt hatte.
Dieses Crossover aus verschiedenen Genres, dort der Sport, da die Mode, hier die Popkultur, ist typisch für das Engagement von Satisfy wie überhaupt vieler junger DIY-Brands: Einerseits will man jedweden Verdacht im Keim ersticken, wieder nur ein weiterer, vor allem, um Performance bemühter Sportausrüster zu sein. Anderseits aktiviert man ein Kapital, dass man als junges, aus kreativen Milieus erwachsenes Unternehmen sowieso hat: Marken wie Satisfy oder Norda sind cool auf eine authentische Weise. Eine Kompetenz, die sich die Etablierten der Branche immer wieder neu einkaufen müssen. Etwa durch Kooperationen mit angesagten Avantgarde- oder Street-Style-Label.
Luxus und Leidenschaft
Off White ist so eine Brand, die bereits mit Nike, Adidas und vielen andern kooperiert hat. Aktuell ist uns die Zusammenarbeit von The North Face mit der japanischen Brand Undercover Soukuu aufgefallen. Fernab der nicht immer üppigen Absatzzahlen (zumal bei eher exzentrischen Entwürfen) ist so eine Partnerschaft ein gewinnbringendes Tauschgeschäft. Die große Marke sonnt sich in der distinguierten Coolness des Juniorpartners, dieser wiederum bekommt eine zuvor kaum mögliche Sichtbarkeit.
Sind sie eigentlich eine Luxus-Brand, will ich von Satisfy-Mann Daniel Groh wissen? „Vor allem kommt die Marke aus den Pop- und Subkulturen. Skaten, Surfen, Punk, das sind Themen, die unser Team liebt und lebt und die sich immer in den Designs spiegeln. Luxuriös sind wir vielleicht im Anspruch an unsere Produkte und dadurch, dass unsere Kunden oft eine sehr dezidierte Vorstellung von den Dingen haben, die sie konsumieren. Ich glaube aber ohnehin, dass sich die Vorstellung von dem, was wir als luxuriös empfinden, gerade im Wandel ist.“ Luxuriös ist heute eben auch ein Shirt mit angetäuschten Mottenlöchern.
Zum Luxus würde immerhin passen, dass etwa ein ehemaliger Topmanager des Luxusgüterkonzerns LMVH (Louis Vitton, Dior, Moët …) zu den Investoren des Labels gehört. Gründer Brice Partouche, soviel zur Sache mit der Authentizität, ist aber weiterhin Mehrheitseigner und Kreativchef von Satisfy. Auch an Norda, der Trailschuhmarke der charismatischen kanadischen Eheleute Nicholas und Willamina Martire, hat sich kürzlich eben kein großen Sportartikelhersteller beteiligt – sondern das italienische Couture-Haus Zegna. Was wiederum die These von Satisfy-Mann Groh untermauert: Zegna interessiert an Norda eben genau dieser sich wandelnde Luxusbegriff.
Assoziationen und Ambitionen
Wie aber ist es überhaupt dazu gekommen, dass die Sachen, die wir so zum Laufen tragen, plötzlich der nächste Street-Style-Hype geworden sind? Oder einfach nur der Look, mit dem die Gen Z neuerdings Pilze sammeln oder ins Großraumbüro geht?
Also ein paar gute Argumente: Erstens ist Laufen auch nur eine erweiterte, beschleunigte Form des Gehens. Jede und Jeder kann sich, irgendwie, damit identifizieren. Und eine funktionale, wasserdichte Jacke ist am Alltag manchmal genauso praktisch, wie ein paar Trailschuhe – ob nun ein Retro-Modell von Salomon (immer noch sehr angesagt) oder ein dick geschäumter Hoka (auch noch sehr angesagt) – einfach unkompliziert und bequem. Zweitens sind aktuelle Laufoutfits in ihren lässigen Schnitten und Farben zwar ein Look, der auf einen aktiven Lebensstil verweist (was ja durchaus gewollt ist), aber gleichzeitig keine Kleidung, die vor allem wie eine Ausrüstung wirkt. All die Rapha-Rennradler:innen, die in ihren Designer-Pellen im Café sitzen, sehen noch nach Leuten aus, die gerade erst ihren Carbonracer abgestellt haben. Was ja meistens auch stimmt. Und Fußballtrikots machen aus Menschen auf den ersten Blick vor allem Fußballfans.
Was zum dritten Punkt führt: Laufen und damit auch Trailrunning sind Sportarten, die noch nicht von unmittelbaren Assoziationen und Zuweisungen überformt sind. Bei einem Basketballschuh, erst recht einem Basketballtrikot, denkt man sofort an HipHop, die Lakers, die Bulls, das schwarze Amerika. Tennis wiederum bleibt noch immer ein sehr weißer, auch snobistischer, bürgerlicher Sport. Im Jahr 2024 kann man gewiss mit diesen Zuweisungen spielen, man wird sie aber nie ganz los. Die oberschenkellangen Tights aber, wie sie gerade bei jungen Frauen momentan wieder en vogue sind, funktionieren auch einfach als Look, ohne sofort Halbmarathonbestzeiten zu imaginieren.
Laufen bleibt eben eine ziemlich simple Sache. Und es ist auch diese Einfachheit und Unmittelbarkeit, die diese DIY-Brands den großen Sportartikelmultis voraushaben. Oder anders gesagt: Wenn Adidas ein Millionenbudget ins Marketing investiert, damit wirklich alle jungen und nicht mehr ganz so jungen Frauen wieder den Hallenfußballschuh Samba an den Füssen haben – dann gibt es längst genügend Menschen, die genau diesen Mechanismen misstrauen. Und nach Produkten suchen, die eben diesen Mechanismen ein Schnippchen schlagen.
Womit Adidas, Nike und all die anderen mit ihrem Megamarketing irgendwie auch das Feld für diese neue Laufkultur bereiten.