Denis’ Kolumne 6/24
Liebe Leserin, lieber Leser,
was würdest du tun, würde dein Kind zu dir kommen und sagen: „Mama, Papa, Erzeuger oder wie auch immer, ich will Trailrunner werden!“ Du würdest antworten: „Nur zu. Husch, husch, hinaus mit dir. Das ist wunderbar, ganz wunderbar!“ Dann legt sich die Begeisterung, denn das Kind will anstatt Ausbildung und Studium nur noch laufen. Berufsbild Trailrunning. Ein Profi. Oha.
Es gäbe Hunderte verschiedene Antwortoptionen. Man könnte das Kind alleine für den Wunsch feiern, man könnte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn schlagen und laut ausrufen: „Herr, lass Hirn vom Himmel regnen. Wie kommst du auf diese bescheuerte Idee? Fang die Ausbildung bei Onkel Günther an!“
Ich wäre ja sehr gerne ein Trailrunner geworden. Also rein beruflich. Hey, was gibt es Schöneres, als zu laufen? Nur laufen. Und Geld zu bekommen. Nun gut, man müsste wohl sehr fleißig sein, sehr viel trainieren und dann müssten sich all das Training und das hoffentlich vorhandene Talent auch in Resultaten niederschlagen. Man müsste bzw. sollte als hauptberuflicher Trailrunner oder hauptberufliche Trailrunnerin ja irgendwie schon schneller sein als reine Hobbyläufer und Hobbyläuferinnen und Spaß-Trailrunner. Da wäre also ein gewaltiger Druck. Da wäre vermutlich auch ein Sponsor, der für sein Investment auch eine Leistung sehen möchte. Ein Vorteil in diesem Zusammenhang wäre, gut aussehend zu sein, was ich nicht bin. Sieht man als Profi zur außergewöhnlichen sportlichen Leistung auch noch gut aus, dann hilft das auf Instagram und Tokyo-Tikki. Sponsoren lieben nämlich Reichweite fast noch mehr als Siege bei Wettkämpfen. Das hab ich mal gehört.
Die jungen Menschen heute sind viel vernünftiger als noch vor 20 oder 30 Jahren. Ich glaube nicht, dass heute jemand am Esstisch sitzt und den Eltern von der Skyrunning- oder Ultratrail-Karriere berichtet. Dieses blind, stoisch in etwas Hineinrennen, dieses Trotzige „Ich will Feuerwehrfrau, ich will Autorennfahrer werden“ gibt es nicht mehr. Vermutlich finden viele das Leben und die Karriere des Kilian Jornet absolut erstrebenswert – Rennen gewinnen nach Belieben, Rekorde für Jahrhunderte, ein Haus am Fjord, zwei gesunde Kinder, eine tolle Frau, einen fetten Contract und ein nahezu selbstbestimmtes, finanziell unabhängiges Leben. Genau so müsste man Trailprofi werden, aber eben nur so. Genau so wie dieser Kilian. Fast alle anderen, die aktuell zu 100 % vom Sport leben, klemmen weit mehr in Bedingungen, in Klauseln. Da müssen ganz bestimmte Rennserien gelaufen werden. Da muss gepostet werden, da gibt es Präsenzpflichten bei Medienevents und Produktvorstellungen. Das kann ganz schön stressig werden. Ist das die 40.000 Euro pro Jahr wert?
Trailrunning-Profi ist nicht gleich Rennrad-Profi. So ein Radprofi verdient mehr, er ist zumeist angestellt, oft in der GmbH des Teamchefs. Das sind Verträge, die Versicherung und soziale Absicherung mit sich bringen. Ein Berufs-Trailrunner bzw. eine Berufs-Trailrunnerin hingegen hängt oft in einer dubiosen Selbstständigkeit, muss mit einem Fixbetrag haushalten und auf Prämienzusätze hoffen. Es bleibt eine Sache, die viel Enthusiasmus und Überzeugung braucht. Viele der heute uns bekannten Stars der Trails verdienen sich als Coach eine nette Summe dazu. Trailprofi mit Nebeneinkommen. Trail-Weltmeister Jonathan Albon und Adidas-Prorunner Dmitry Mityaev geben ihr Wissen weiter, erstellen Trainingsprogramme für die, die genauso schnell werden wollen.
Wo war ich? Ach ja. Ich wäre gerne ein Trailpro. Ich wollte damals in den frühen 1990er-Jahren schon Rennrad-Profi werden und landete so hart mit diesem naiven Wunsch. Wünsche kann man aussprechen, aber ich musste erkennen, dass ich nicht im Ansatz das Talent und den Ehrgeiz hatte, um ein Vollprofi zu sein. Heute mag das anders sein. Auch und vor allem im Trailrunning gibt es profihafte Gestalten, die sich von waschechten Amateuren abziehen lassen. Der einzige Unterschied – die Anzahl der Follower und. Aber möchtest du wirklich, dass dein Kind am Ende mehr mit dieser Posterei beschäftigt ist als mit dem Intervalltraining am Berg? Nein.
Wahre Talente, also echte Talente sollen es wagen. Unterstützt sie, wenn ihr feststellt, dass da Diamanten am Esstisch sitzen. Wenn sie lediglich funkelnde Vollgummi-Flummis sind, wie ich es war, dann schickt sie rüber zu Onkel Günther.